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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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Sirmiacum hinaufführt? Nein? Es ist ein Kreis von Findlingen oben auf einem Hügel und man sagt, dass vor langer Zeit dort die Leute entweder Gericht gehalten oder ihren Göttern geopfert haben. So genau weiß das keiner, aber den Platz kennt jeder in Sala und auch jeder in Sirmiacum; das war einer der Gründe, warum Fürst Gudhelm und Fürst Bernward dort zusammengekommen sind. Der andere Grund war, dass man dort weit genug fort von jeder Siedlung ist, denn in dem Spätsommer ging in unserer Gegend eine ansteckende Krankheit um. Gudhelms Arzt hat ja behauptet, es wäre die Ruhr, aber ganz so sah es dann doch wieder nicht aus, und als er dann selbst daran gestorben ist, wusste ohnehin niemand mehr, ob er Recht gehabt hatte. Jedenfalls waren die Kämpfe, die damals schon im Gang waren, auf diese Weise nicht durchzuhalten, und es gingen Boten hin und her, ob man sich nicht treffen und ohne Kenntnis Faroalds oder des Königs eine geheime Waffenruhe vereinbaren sollte, bis das Schlimmste ausgestanden war. Schließlich kamen dann Gudhelm und Bernward selbst mit kleinem Gefolge beim alten Steinkreis zusammen, um die Bedingungen auszuhandeln. Wir waren alle zu Fuß und ohne Waffen hinaufgegangen, aber Eginhard hatte einen großen Weinschlauch mitgebracht, weil ihm angeblich irgendeine alte Heilkundige gesagt hatte, dass es vor der Seuche schütze, viel Wein zu trinken, mit irgendeiner weiteren Zutat, über die er nichts sagen wollte, die aber ihre Wirkung sehr gut tat. Denkt Euch dazu einen heißen Augusttag und Leute, die einander alle irgendwie kannten, obwohl sie gerade im Krieg auf verschiedenen Seiten standen … Nun ja. Wir hatten am Ende wohl alle zu viel von Eginhards Wundermittel getrunken, aber es sorgte dafür, dass freundliche Stimmung herrschte und Bernward und Gudhelm sich schnell einig wurden. Eigentlich war es ein ganz lustiger Tag … Bis wir dann auf dem Rückweg waren und dieser Bär dort stand. Die Wege, die von der Salzstraße in den Wald führen, vereinigen sich nach einem ganzen Stück zu einem einzigen, und auf diesem einen, schmalen Pfad begegneten wir dem Bären.«
    »Und er ist nicht von selbst weggelaufen, bei so vielen Leuten?«, fragte Oshelm zweifelnd.
    Ardeija schüttelte den Kopf. »Nein; er stand nur da und sah uns sehr neugierig an. Der Mann aus Sirmiacum, der vorausging, sagte noch: ›Da ist ein Bär!‹, und dann begannen die ersten schon zu überlegen, ob man nicht zurückgehen und einen Weg durchs Unterholz suchen sollte, worauf Bernwards Schwertmeister meinte, es hätten sich hier schon erfahrene Jäger verirrt, die man erst nach zehn Jahren wiedergefunden hätte, und nicht in einem Stück. Alle flüsterten also, aber niemand rührte sich, und auf einmal sagte Wulf: ›Ich rede mit ihm.‹ Wir waren wohl alle zu erstaunt, ihn aufzuhalten. Stellt Euch das also so vor: Da vorn steht der Bär, ohnehin keine zwanzig Schritt entfernt, und Wulf geht ganz ruhig näher heran, als ob nichts dabei wäre, und immer noch näher, bis keiner mehr glaubt, dass das gut gehen wird – und dann redet er mit ihm, so liebevoll, wie andere Leute vielleicht mit ihrem Pferd oder mit ihrem Hund reden, eine ganze Weile lang, während alle anderen zusehen und beten, dass der Bär nicht doch noch auf den Gedanken kommt, Wulf oder irgendeinen anderen zum Abendessen zu verspeisen … Aber Wulf redet, anscheinend unbesorgt, als ob der Bär ihn verstehen könnte. – Und vielleicht hat ihn der Bär ja auch verstanden. Wer mit den Ahnen sprechen kann, kann sich auch mit einem Bären unterhalten.«
    »Was hat er ihm denn gesagt?«
    »Das weiß ich bis heute nicht; er hat Latein gesprochen. Wisst Ihr, ob Bären Latein verstehen?«
    Oshelm schien sich über diese tiefschürfende Frage noch nie Gedanken gemacht zu haben. »So gut oder so schlecht wie jede menschliche Sprache, nehme ich an«, meinte er am Ende zögernd. »Aber der Bär hat ihm nichts getan?«
    »Nein. Der Bär hat nur zugehört, etwas mit der Schnauze gezuckt und sich am Ende getrollt. Wulf sah ihm nach, dann drehte er sich um, als wäre nichts gewesen, und sagte etwas in der Art, dass wir nun doch weitergehen könnten und nachher den nördlichsten Weg zur Salzstraße hinunter nehmen sollten, da die südlicheren um diese Tageszeit nicht ganz geheuer wären. Warum er das sagte, hat damals keiner gefragt, wenn denn überhaupt jemand genau zugehört hat. Wir waren alle noch viel zu verblüfft und eigentlich einer Meinung mit Bernward, der ihm

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