Tricontium (German Edition)
den Steinbrüchen verbracht hatte, fast jede Woche länger geworden war.
In dem traurigen Glauben hatte er gelebt, bis Ardeija diesen heruntergekommenen Dieb als Boten nach Tricontium geschickt hatte. Er hatte Wulfilas Gespräch mit Maurus angehört und nicht gewusst, ob er froh oder entsetzt sein sollte; auf jeden Fall hatte er es nicht über sich gebracht, Wulfila selbst auf seinen Vater anzusprechen, nachdem er ihn gerade eben noch beleidigt hatte. Auf dem Römerfriedhof hatte er dann geglaubt, seinen Augen nicht trauen zu dürfen, und nun hätte alles gut sein können, hätte Frau Herrad nicht solch unsinnige Pläne gemacht, statt einzusehen, wie groß die Gefahr war.
»So groß wird sie schon nicht sein«, sagte Wulf nun und hielt Gjuki, der wenig Interesse für die Erzählung aufgebracht hatte, dafür aber umso mehr für das, was währenddessen am Herd vonstattengegangen war, eine Fingerspitze voll Pastetenfüllung hin. »Bisher steht nur eine Drohung im Raum. Wenn Asgrim mich tatsächlich wieder gefangen sehen wollte, dann wäre ich es mittlerweile, und auch das wäre nicht das Ende der Welt.«
»Nein, nur deines«, gab Oshelm zurück und begann, Wulfins Wachstafel zu glätten. »Ein zweites Mal geht das nicht gut.«
»Ach, das ist nicht gesagt.« Ardeija hob Gjuki hoch und sah ihn an, um ihn dann doch wieder abzusetzen, als er zu sehr zappelte. »Erinnert Ihr Euch nicht an den unverbesserlichen Taschendieb, den Frau Herrad immer wieder für ein paar Monate in die Steinbrüche geschickt hat? Der ist jedes Mal mit solcher Sicherheit wiedergekommen wie das Frühjahrshochwasser – und das nicht unbedingt in schlechter Verfassung. Ich hoffe nur, er kommt jetzt auch so gut mit Honorius aus wie mit unserer Richterin.«
Oshelm warf den Griffel beiseite. »Das ist etwas ganz anderes und das wisst Ihr.«
»Es ist aber auch beim ersten Mal gut gegangen«, bemerkte Wulf ungerührt und ließ sich von Gjukis Jammern erweichen, die Hand noch einmal auszustrecken. »Wie kann ein so kleiner Drache eigentlich derart hungrig sein?«
Der Schreiber holte Luft, um zu einer längeren Antwort anzusetzen, die sich gewiss nicht auf Gjuki bezogen hätte, und Ardeija hielt es für besser, einzuschreiten, ehe sich der Streit, den er in der Kanzlei miterlebt hatte, wiederholen konnte.
»Das ist eben so«, sagte er entschuldigend. »Aber du hast mir noch nicht erzählt, wie es damals gut gegangen ist.«
»Nein.« Wulf rückte einen Topf zurecht, und Ardeija ging auf, dass das Essen in der Zeit, die sie redend verbracht hatten, schon fast fertig geworden war. »Ich könnte es zwar durchaus tun, aber du würdest es mir nicht danken. Wartet die Richterin nicht schon eine ganze Weile auf dich?«
»Ja, und sie wird mir den Kopf abreißen, oder vielmehr uns beiden«, sagte Ardeija mit einem Blick auf Oshelm. »Und deshalb ist es eigentlich auch gleichgültig, wie lange wir noch hierbleiben. Eine weitere Stunde wird nun auch nichts mehr ausmachen.«
31. Kapitel: Gespenst und Bär
An dem Tag, als man Oshelm zurück nach Aquae Calicis brachte, trugen sie Wulf über den Hof und in einen Raum mit einem Feuer und einem guten Bett. Mehr bekam er nicht mit, bevor er einschlief. Als er irgendwann kurz erwachte, nahm er gerade noch wahr, dass drei Priester vor ihm standen, mindestens zwei mehr, als selbst im schlimmsten Fall hätten da sein sollen, aber dazu, die schwierige Frage zu klären, ob die Krankheit eher seine Augen oder seinen Verstand in Mitleidenschaft gezogen hatte, fühlte er sich zu elend. Ob die Priester etwas getan oder gesagt hatten, wusste er später nicht mehr, doch als er das nächste Mal bei klarem Bewusstsein war oder nur träumte, er wäre es, saß seine Frau an seinem Bett, was eigentlich nicht sein konnte, da sie schon sieben Jahre lang tot war. Aber von vernünftigen Argumenten hatte sie sich noch nie aufhalten lassen und deshalb blieb sie, wo sie war, auch als er den Kopf schüttelte, um das Trugbild zu verscheuchen. Sie trug noch nicht einmal das schöne grüne Kleid, in dem sie sie begraben hatten, sondern einen fleckigen alten Kittel über ausgebeulten Hosen, als sei sie geradewegs vom Pferd an sein Krankenlager geeilt; ihr braunes Haar, das nicht die Zeit gehabt hatte, grau zu werden, hatte sich schon halb aus dem losen Zopf befreit, zu dem es irgendwann früher am Tag geflochten worden war. Das alles sah wirklich sehr nach ihr aus.
»Signe«, sagte Wulf also und lächelte.
»Wulf«, sagte sie und nahm
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