Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
zur Polizei, aber von Anfang an war mir klar: nichts mit Toten. Auf Dauer könnte ich das auch gar nicht.«
»Es ist wirklich nicht einfach«, räumte Kalkbrenner ein. »Aber es ist auch eine Herausforderung und Verantwortung. Und eine Verpflichtung. Jeden Tag aufs Neue.«
Thanners Schnitzel wurde serviert. »Und davon bist du überzeugt? Oder redest du dir das nur ein?«
»Nein, ich bin mir sicher.«
»Die Antwort kam ganz schön schnell.«
»Weil ich mir wirklich sicher bin.«
Thanners Kiefer mahlten auf einem Stück Schnitzel herum. »Hast du nie daran gedacht, den Job hinzuschmeißen? Den ganzen Rotz einfach Rotz sein zu lassen und was ganz anderes zu machen?«
Kalkbrenner leerte nachdenklich die Bierflasche. »Kannst du dich noch an Judith erinnern?«
»Klar, vom Namen her. Sie war deine Flamme während der Schulzeit. Ihr wart ein tolles Paar. Und kurz vor dem Abitur seid ihr gemeinsam verschwunden, von einem Tag auf den anderen. Du hast mir damals die Geschichte häufiger erzählt.«
Kalkbrenner gab dem Kellner ein Zeichen, der sofort ein neues Heineken
brachte. »Ja, das war verrückt und leichtsinnig. Aber wahrscheinlich macht man so etwas, wenn man jung ist. Wir wollten alles hinter uns lassen. Ein neues Leben beginnen.«
»Meine Güte, aber euer Leben hatte doch kaum begonnen.«
»Das war denn wohl auch der Grund, warum aus unserem Plan nichts geworden ist. Und anschließend haben wir uns aus den Augen verloren. Ich begann bei der Polizei, lernte Ellen, meine Exfrau, kennen, wir heirateten, Jessy wurde geboren, ich wurde Hauptkommissar und … Tja, und das Ende der Geschichte habe ich dir gerade erzählt.« Leise kräuselte sich Van Morrison aus der Jukebox.
These are the days
,
the time is now. There is no past
,
there’s only future. There’s only here
,
there’s only now.
»Nur dass die Geschichte eben anscheinend doch noch nicht zu Ende ist.«
»Wie jetzt?«
Kalkbrenner setzte das Heineken
an die Lippen, nahm einen großen Schluck. Möglicherweise lag die Melancholie am Alkohol, vielleicht auch an der Musik.
These are the days.
Wahrscheinlich aber war der wirkliche Grund dafür, dass er seit einiger Zeit mit aller Kraft versuchte, die Vergangenheit ruhen zu lassen und in der Gegenwart zu leben, sich eine Zukunft zu schaffen – vergeblich.
Du weißt ganz genau
,
um wen es geht.
»Ich habe Judith wiedergetroffen.«
»Nein, ehrlich? Wann …?«
»Vor drei Monaten. Ihr Mann wurde ermordet. Sicherlich hast du von der Sache im Oktober gehört: Der Lehrer, den sie an der Neuköllner Hauptschule erschossen haben, war Judiths Mann.«
»In echt? Klar habe ich davon gehört, der Fall hat Politik und Medien ja mächtig bewegt. War aber auch kein Wunder, so kurz vor den Senatswahlen. Und wie hat Judith es verkraftet?«
Kalkbrenner schaute schweigend in seine leere Bierflasche.
Thanner verstand auf Anhieb. »Du hattest wieder was mit ihr?«
»Weißt du, es war wie früher. Als lägen keine zwanzig Jahre dazwischen. Die Vorstellung war verlockend: Wir beide, ich und Judith, noch einmal ein neues Leben …« Er verstummte.
Erst wenn man alles hinter sich gelassen hat
,
hat man die Freiheit
,
etwas Neues zu beginnen.
Das waren im Oktober Judiths Worte gewesen. Vor einer gefühlten Ewigkeit. »Aber dann gab es Hinweise darauf, dass nicht die zwei Schüler, die wir zunächst verdächtigt hatten, ihren Mann erschossen hatten. Tatsächlich war der Mörder ein gewisser David Block, Wirtschaftsanwalt. Er hatte seinen Boss, die Berliner Rotlichtgröße Miguel Dossantos, um ziemlich viel Geld betrogen, und der Lehrer hatte davon Wind bekommen. Also galt es, sich zu schützen.«
»Aber was hatte Judiths Mann mit diesem Anwalt zu schaffen?«
»Nichts. Nicht direkt jedenfalls. Judith hatte ein Verhältnis mit David Block. Die beiden wollten mit dem erpressten Geld abhauen.«
Thanner blickte betroffen auf sein Schnitzel. Bis auf ein kleines Stück hatte er noch nichts davon verzehrt. Inzwischen war es kalt. Er schob den Teller von sich und griff stattdessen zur Bierflasche. »Und als du davon erfahren hast, war es zu spät. Da hatte Judith dich bereits um den Finger gewickelt, nicht wahr?«
Kalkbrenner presste die Lippen aufeinander.
Seine Leibesfülle schien Thanner nicht davon abhalten zu können, beeindruckend schnell zu kombinieren. »Was ist aus ihr geworden?«
»Sie ist mit dem Geld abgehauen.« Kalkbrenner griff nach dem Heineken,
aber die Flasche war schon wieder leer.
Ihr seid also kein
Weitere Kostenlose Bücher