Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
schrillte. Mit dem Telefon in der Hand sprintete Anna in die Diele.
Im Hausflur stand Alan. »Ist er immer noch verschwunden?«
Vor Annas Augen begann sich ihre Wohnung zu drehen, während Bernds Stimme aus dem Hörer ertönte: »Ihr müsst etwas unternehmen!«
59
Am Terminalausgang wartete ein großer, kurzhaariger Mann in blauer Uniform, die im Vergleich zur grünen Dienstkluft deutscher Streifenbeamter ungewohnt schick wirkte. In der Hand hielt er ein Pappschild:
Kalkbremer.
Thanner wieherte, aber Kalkbrenner war nicht nach Spaß zumute. Nachdem sie sich die Hände geschüttelt hatten, teilte er dem niederländischen Verbindungsbeamten seinen korrekten Namen mit.
»Ich bin Bart van de Winkel«, stellte der sich in dialektfreiem Deutsch vor. Sein Streifenwagen war strahlend weiß mit blau-orangenen Streifen. Auch die Fahrzeuge der holländischen
Politie
waren moderner als die der deutschen. »Ich bringe Sie zum Hotel.«
»Nicht zu Herrn Peglar?«
»Herr Peglar steht Ihnen erst morgen früh zur Verfügung.«
Thanner wuchtete seinen schweren Leib auf die Rückbank. »Haben niederländische Untersuchungshäftlinge etwa die Möglichkeit, ihren persönlichen Terminplan zu machen?«
Van de Winkel lächelte kühl. »Nein. Genauso wenig, wie deutsche Beamte über ihre Termine bestimmen dürfen.«
Wortlos kutschierte er sie zu einem Hotel ins Zentrum, wo sie eincheckten, ihr Gepäck auf die Zimmer brachten und sich anschließend zum Stadtbummel trafen. Die auch hier anhaltenden Schneeböen trieben sie zügig in eine Eckkneipe, die einen typischen Ausblick bot: Sie schauten auf eine Gracht und auf die Fenstermädels in den windschiefen Handelshäusern. Ungeniert und auf Highheels räkelten sich die Frauen hinter rot beleuchteten Glasscheiben und kämpften so um die Aufmerksamkeit der wenigen Touristen, die bei dem schlechten Wetter unterwegs waren. Doch Kalkbrenners Interesse galt nicht den halb nackten Körpern, er war bereits in Gedanken versunken.
»Und du, Paul?«, fragte Thanner.
»Wie bitte?«
»Ich habe dem Kellner gerade eben mitgeteilt, dass ich einen Kaffee nehme. Die haben Douwe Egberts
.
Mal sehen, wie der schmeckt. Und danach ein Wiener Schnitzel mit Kartoffeln und ein Heineken. Und was willst du?«
»Auch ein Heineken. Und einen kleinen Salat.«
»Geht es dir nicht gut?«
Nein
,
gar nicht gut.
Kalkbrenners Magen rumorte, seit sie Berlin verlassen hatten.
Aus einer Musikbox dudelte Mick Jagger.
You’re not the only one. With mixed emotions. You’re not the only ship. Adrift on the ocean.
Der Kellner servierte den Kaffee und das Bier. Als Thanner den ersten Schluck nahm, entgleisten ihm seine Gesichtszüge. »O Gott, ist der Kaffee übel!«
Das Heineken fand Kalkbrenner herb, aber nicht unangenehm. Ein paar Flaschen davon, und er würde an nichts mehr denken.
Keine unangenehme Vorstellung.
Thanner hatte sein Handy hervorgezogen und telefonierte mit seiner Familie, während Kalkbrenner lustlos im Salat herumstocherte. Aber der Hunger wollte sich partout nicht einstellen. Als sein Kollege mit seinen Kindern scherzte, überkam Kalkbrenner der Neid, wofür er sich sofort schämte. Kurzentschlossen kramte er sein eigenes Mobiltelefon hervor und rief Milena, Bernies Babysitterin, an. »Ich wollte nur wissen, ob mit Bernie alles in Ordnung ist.«
»Natürlich, ich kümmere mich um ihn, das habe ich doch versprochen.«
»Und morgen früh auch, oder?«
»Machen Sie sich keine Sorgen«, kicherte das Mädchen. »Ihr Bernie ist bei mir in den besten Händen. Genießen Sie Ihren Urlaub.«
»Ich bin nicht im Urlaub, Milena«, berichtigte sie Kalkbrenner.
»Trotzdem eine schöne Zeit.« Schon legte sie auf.
Thanner hatte ebenfalls sein Gespräch beendet und anscheinend Teile von Kalkbrenners Telefonat mitgehört. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln. »Und? Wie alt ist dein Sohn?«
»Kein Sohn. Nur ein Hund.«
»Ich dachte, du wärst verheiratet?«
»War ich auch. Bis vor drei Tagen.«
»Oh, das tut mir leid.«
Kalkbrenner nahm einen erneuten Schluck vom Heineken. »Ist schon okay, ist besser so.«
»Klingt nicht gerade nach einer einvernehmlichen Trennung?«
»Tja, wenn das beinhaltet, dass meine Frau nicht gut auf mich zu sprechen ist und meine Tochter kaum mehr ein Wort mit mir redet, dann hast du recht.«
»Meine Güte, was ist passiert?«
»Zu wenig Zeit und zu viele Tote. Berufskrankheit eben.«
»Mann, bin ich froh, dass ich mit so etwas nichts zu tun habe. Ich wollte ja schon immer
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