Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Verbindung von Peglar mit dem Mord an seinem Stiefbruder. Der Umstand allerdings, dass zuletzt nach ihm gefahndet wurde, drängt den Verdacht zumindest einer Tatbeteiligung geradezu auf. Worin ist Peglar verstrickt?
Über die näheren Hintergründe wollte ein Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft keine Erklärung abgeben. Allerdings hat der
Kurier
in Erfahrung bringen können, dass Beamte bereits zur Vernehmung Peglars nach Amsterdam gereist sind.
62
Mit jeder Nummer, die Anna Benson gegen vier Uhr morgens wählte, wuchs ihre Angst. »Und bei Ihnen ist wirklich kein Manuel eingeliefert worden?«
Die Gesprächspartner in den Krankenhäusern reagierten geduldig. »Nein, bei uns ist kein Junge mit diesem Namen aufgenommen worden.«
»Und auch kein Junge, dessen …«
»… Namen wir nicht kennen. Tut uns leid.«
Ohne ein weiteres Wort legte Anna auf.
Bloß keine Zeit vergeuden.
Sie hakte die angerufene Nummer mit dem Kugelschreiber ab und nahm die nächste auf ihrer Liste in Angriff. Sie hatte sich aus dem Internet eine Übersicht ausgedruckt, die mehr als einhundert Krankenhäuser umfasste. Und es war nicht einmal sicher, ob sie vollständig war. Als ein Schlüssel in der Diele klapperte, keimte in Anna Hoffnung auf. Sie schleuderte das Telefon beiseite, und – es war nur Alan.
Er schlotterte vor Kälte in seiner viel zu dünnen Jacke. »Ich habe ihn nicht gefunden.«
Natürlich
,
es ist ja auch zu dunkel
und die Gegend zu weitläufig.
Aber das war Anna ebenso wenig ein Trost wie der Gedanke, Manuel könnte ausnahmsweise einen anderen Heimweg gewählt haben. Wenn er sich jetzt noch im Freien befand, dann war es egal, ob auf seiner üblichen Route oder anderswo: Er würde mit Sicherheit erfrieren.
Das Telefon läutete. Beide hechteten sie ins Wohnzimmer. Anna war zuerst am Apparat. »Ja?«
»Endlich komme ich bei dir mal durch«, stöhnte Bernd. »Bei dir ist ja laufend besetzt. Ist Manuel zurück?«
Annas Stimme bebte. »Nein, er ist … immer noch weg.«
»Soll ich vorbeikommen?«
»Das ist lieb, aber nein. Alan ist bei mir.«
»Wenn du Hilfe brauchst, gib mir Bescheid.«
»Danke, Bernd, aber …«
»Versprich es mir!«
Sie versprach es und legte auf.
»Wie viele Krankenhäuser hast du schon erreicht?«, wollte Alan wissen.
In Annas Liste waren gerade einmal vierunddreißig oder fünfunddreißig mit einem Haken versehen. »Mein Gott, so viele sind noch übrig?«
»Ich bin nicht einmal sicher, ob die Liste überhaupt komplett ist.«
»Scheiße.«
»Kannst du den Rest übernehmen?«, bat Anna. »Dann schaue ich mich in der Zwischenzeit in Manuels Zimmer um.«
Sie war froh, dass das Durcheinander in dem Raum noch nicht aufgeräumt worden war. Bis heute hatte sie sich noch nie große Mühe gegeben, eine Logik hinter dem Durcheinander zu erkennen – Chaos blieb nun mal Chaos –, aber war es nicht so, dass Manuel in dem Sammelsurium aus Kleidung und Spielzeug auf Anhieb immer das gefunden hatte, wonach er suchte? Also musste ihr Sohn sehr wohl eine wenn auch bisher nur ihm selbst vertraute Ordnung haben. Anna musste jetzt lernen, sie zu begreifen, sie zu durchschauen, dann würde sie auch einen Hinweis auf Manuels Verbleib finden.
Ganz bestimmt.
Die Teddybären auf dem Regal sparte sie sich, ebenso wie die fünf Poster an der Wand, und begann, in den Schubladen und Regalen am Schreibtisch zu suchen. Ihre bleiernen Hände wühlten sich durch Schulhefter, Klassenarbeiten und Bilder von Thorsten, von Alan und von ihr selbst mit Manuel. Das vertraute Miteinander von Mutter und Sohn wirkte an einem solchen Abend befremdlich.
Auf der Kopenhagener Straße holperte ein Auto über das Kopfsteinpflaster. Vor ihrem Haus brach das Rumpeln ab. Anna horchte konzentriert in die ausgehende Nacht. Lieferte die Polizei Manuel zu Hause ab?
Oder überbringt sie eine schlimme Nachricht?
Als niemand klingelte, wusste Anna nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte.
Gleich darauf fuhr ihr ein Schock in die Glieder. In einer Hutschachtel stieß sie auf die Todesanzeige ihres ersten Mannes. Manuel hatte die Anzeige fein säuberlich aus der Zeitung ausgeschnitten und mit seinen Filzstiften ungestüm, voller Bitterkeit durchgestrichen. Wo hatte er die herbekommen? Er war doch damals noch ein Kleinkind gewesen. Das Gefühl von Fremdheit wurde immer stärker. Wie einsam und verzweifelt musste sich Manuel gefühlt haben
? Und du hast nichts bemerkt. Warum? Warum
,
verflixt noch mal?
Dann fiel ihr
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