Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
die PlayStation Portable in die Hand. Wie funktionierte so eine kleine Konsole eigentlich? Manuel beherrschte sie blindlings, Anna hatte sich hingegen nie die Mühe gemacht, sich damit zu beschäftigen. Sie sah in den Kartons der PlayStation-Spiele nach, fand jedoch keine Anleitung, geschweige denn einen Hinweis auf Manuels Verbleib. Die Ergebnislosigkeit der Suchaktion machte sie zornig. Wütend stocherte sie in den Shirts und Hosen am Boden und im Schrank herum. Da. Etwas kam ihr merkwürdig vor.
Aber was? Was?
Ihr Verstand war wie benebelt, unfähig, klar zu denken. Wiederholt kämpfte sie sich durch Manuels Klamotten, seinen Schreibtisch und die Regale.
Streng dich an!
Das Chaos in ihrem Kopf stand dem um sie herum in nichts nach. Nein, hier gab es keine Ordnung. Das hier war einfach nur das riesengroße, wüste Durcheinander, in dem sich Kinder nun einmal wohlfühlen. »Verdammt, wo steckt er nur?«
»Dein Fluchen hilft dir auch nicht weiter«, sagte Alan, der sich an den Türstock lehnte.
Sie warf einen Haufen Shirts aufs Bett. »Wie oft habe ich ihm gesagt, er soll aufräumen. Warum konnte er nicht einfach mal auf mich hören?«
»Er ist doch noch ein Kind.«
»Eben deshalb. Was hat er sich nur dabei gedacht?«
»Aber Anna, kein Kind räumt gern auf.«
»Das meine ich ja auch gar nicht. Was hat er sich dabei gedacht, mich zu belügen? Einfach abzuhauen! Kann er sich nicht denken, dass ich mir Sorgen mache?«
»Doch, das weiß er mit Sicherheit.«
»Und ich weiß mit Sicherheit, dass er was erleben kann, wenn er nach Hause kommt!«
»Anna, wir sollten …«
»Wir?« Ihre Finger umkrampften den Wimpel von Hertha BSC
.
»Erdreiste du dich ja nicht, mir vorzuschreiben, wie ich …«
»Anna!«, rief Alan sie zur Ruhe. »Jetzt komm mal wieder runter. Das löst die Situation doch auch nicht. Und vor allem: Auch Manuel ist damit nicht geholfen.«
Am liebsten hätte sie das Fähnchen zwischen ihren Händen zerrissen, das verschnörkelte Autogramm von Stürmerstar Marco Pantelic in hundert Einzelteile zerfetzt.
Auch Manuel ist damit nicht geholfen.
Manuel. Ihr Sohn.
Wo steckt er nur?
Anna kämpfte gegen die heißen Tränen an, von denen eine bereits ihre Wange verbrannte. Noch eine. Und dann noch eine.
Ihr habt immer noch euch beide.
Mit den Tränen verließ sie auch der letzte Rest an Zuversicht, an den sie sich noch geklammert hatte. Sie fühlte sich müde und am Ende ihrer Kräfte. Ein klägliches Wimmern stahl sich aus ihrer Kehle.
Alan streichelte ihr Haar. »Es wird für alles eine ganz harmlose Erklärung geben. Davon bin ich überzeugt.«
Sie trocknete ihr Gesicht mit dem Wimpel, dann hängte sie ihn an den Schreibtischknauf.
»Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben«, beschwor Alan sie.
»Weißt du, wie das hier funktioniert?« Sie griff nach der PlayStation.
Er schaute sie verwundert an.
»Meinst du, es gibt eine Möglichkeit, darauf Notizen zu speichern?«
Alan startete den kleinen Computer und klickte sich durch die Programme. »Wonach soll ich suchen?«
»Woher soll ich das wissen?« Sie schluckte und starrte auf das Telefon, als könnte sie es auf diese Weise dazu bewegen, endlich zu klingeln. Dann würde jemand von der Polizei anrufen und ihr mitteilen, dass sie Manuel gefunden hätten. Dass er sich nur verlaufen hatte. Dass alles wieder in Ordnung käme.
Ja
,
so wird es sein.
63
Wie Fanfaren hallten die tutenden Signaltöne durch die U-Bahn-Station, und wenige Sekunden danach rauschten die Waggons wieder in die unterirdischen Gewölbe. Schulkinder reihten sich jetzt mürrisch am Bahnsteig auf. Warum hatten sie so schlechte Laune? Es schien, als würden sie mit dem Lehrer einen Ausflug unternehmen, um später am Tag wieder nach Hause zu kommen, wo ihre Mütter sie schon mit einer warmen Mahlzeit erwarteten.
Ein Geschäftsmann im Anzug ließ sich neben Tabori auf der Plastikbank nieder und brüllte in sein Handy. Beim Zeitungskiosk ratterten jetzt die Schaufensterrollläden hoch, und auch der Bäcker öffnete die Ladentür, aus welcher der Duft von frischem Brot über den Bahnsteig strömte.
Tabori hielt es nicht mehr auf seinem Platz aus. Er trollte sich zum Ausgang. Das Laufen bereitete ihm Mühe, weil seine Schuhe noch nicht trocken waren, die Nähte scheuerten und die Zehen schmerzten. Klamm klebte ihm seine Hose an den Oberschenkeln.
Die Rolltreppe trug ihn zur Straße hinauf, wo ein Großteil der Bürgersteige bereits vom Schnee befreit war. Der schneidende Wind pfiff
Weitere Kostenlose Bücher