Triestiner Morgen
damals ziemlich stämmigen Beinen herumgelaufen ist.
Die Einrichtung hat sich kaum verändert. Dieselben schweren Holztische und unbequemen, niedrigen Hocker. In den Tischplatten haben sich unzählige Liebespaare verewigt.
Er setzt sich an den Tisch, auf dem er damals Ginas und seinen Namen, umrahmt von einem überdimensionalen Herz, eingeritzt hat, und bestellt ein Glas Terrano und eine Jota.
»Einen Terran für den Herrn, Janko«, ruft Ljublianka ihrem Sohn zu und verschwindet sofort wieder in der Küche. Beruhigt, daß sie ihn offensichtlich nicht wiedererkannt hat, zündet sich Enrico eine Zigarette an und notiert: »LZ, Bufet Ljublianka, 1. 11. 1994.«
Janko bringt ihm weder einen Aschenbecher noch ein Glas Wein. Enrico steht auf, geht zur Theke.
»Könnte ich bitte einen Aschenbecher und ein Glas Terrano haben?«
»Immer mit der Ruhe«, murmelt der Mann, nimmt eine fast leere Flasche ohne Etikett und füllt mit dem Rest, betont langsam, und ohne den Blick vom Fernsehschirm zu wenden, ein schmutziges Glas.
»Einen Terrano«, sagt Enrico eine Spur lauter und viel weniger höflich. Und er wundert sich nun nicht mehr, daß das früher immer brechend volle ›Bufet‹ so schlecht besucht ist.
»Kommt gleich«, sagt der junge Mann gereizt, leert das Glas in einem Zug, hält es unter den laufenden Wasserhahn, holt eine andere Flasche unter der Theke hervor, öffnet sie und schenkt sich nach. Nachdem er auch dieses Glas geleert und notdürftig abgespült hat, füllt er es noch einmal und reicht es seinem Gast.
Enrico überlegt, ob er einfach gehen oder dem schlecht erzogenen Sohn seiner ersten großen Liebe eine Ohrfeige versetzen soll. Die Aussicht auf eine kräftige Suppe aus Bohnen, Maismehl, Speck und Sauerkraut besänftigt ihn jedoch. Er macht keines von beiden, nimmt Glas und Aschenbecher und kehrt an den Tisch zurück.
Die Liebliche kommt mit einem Teller und einem Brotkorb aus der Küche und drängt ihm eine Portion Liptauer als Vorspeise auf.
Enrico denkt nicht im Traum daran zu protestieren. Diesen wunderbaren Aufstrich aus Gorgonzola und Mascarpone, gewürzt mit Zwiebel, Paprika, Senf, Sardellen, Kümmel, Kapern und Salz, hat er im Knast schmerzlich vermißt. Früher, als er noch weniger Geld hatte als heute, hat er immer Liptauer bei Ljublianka bestellt.
Vielleicht läßt sie sich nur nicht anmerken, daß sie mich wiedererkannt hat? Vielleicht hat sie Angst, ein Knastbruder könnte auch die wenigen Stammgäste, die ihr noch geblieben sind, verscheuchen? Bei diesen Gedanken fühlt sich Enrico gleich weniger wohl.
Er stochert in dem Käseaufstrich herum und trinkt sein Glas schnell aus.
Als ihm Ljublianka die deftige Suppe mit einem breiten Grinsen vor die Nase stellt, und er dabei einen Blick auf die überdimensionalen, wabbeligen Fleischballen in ihrem Ausschnitt erhascht, und ihm der üble Geruch von Schweiß und Küchenfett in die Nase dringt, vergeht ihm endgültig der Appetit.
Zuviel Zwiebel und zuviel Knoblauch, und beim Anblick der Schweinsrippen, dreht sich ihm fast der Magen um. Er ist nicht mehr an diese fette, kalorienreiche Kost gewöhnt.
Kaum hat er ein paar Löffel von der Jota hinuntergewürgt, setzt sich die Liebliche an seinen Tisch, preßt ihr wuchtiges Hinterteil an seine Hüfte und fragt ihn, ob es ihm schmecke. Dann zählt sie ihm, mit einem breiten Lächeln, alle Süßigkeiten, die sie zu bieten hat, auf.
Enrico reagiert nicht, löffelt brav seine Suppe.
»Oder eine Torta Dobos vielleicht?« Sie zwinkert ihm zu.
Er runzelt die Stirn, kann seine Abscheu vor dieser geilen Torte mit Karamelglasur nicht verhehlen.
»Wenn Ihnen nicht nach einer Cremetorte ist, kann ich Ihnen auch eine Palachine machen. Buchteln habe ich auch noch, aber die sind, ehrlich gesagt, von gestern.«
Sie bietet ihm all diese Köstlichkeiten in einem süßlichen Ton an und mit einem Grinsen, das die ganze Schönheit ihres zweiten Gebisses entlarvt.
Angewidert schüttelt Enrico den Kopf, ringt sich aber nun doch ein kleines Lächeln ab, denkt an Lljubliankas Ebenbild, die Kassiererin im Bahnhofscafé, und sagt mit vollem Mund: »Nein danke, ich darf nichts Süßes essen.«
»Ich auch nicht. Aber manchmal muß man auch ein bißchen sündigen. Der Onkel Doktor braucht es ja nicht zu erfahren.«
Enrico findet sowohl ihren kindlichen Ton, als auch ihr kokettes Augenzwinkern unerträglich.
»Vielleicht darf’s ein Stückchen Parmigiano und ein kleiner Grappa sein?« Zur Theke gewandt ruft sie:
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