Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
ein Mythomane, der sich beim Erfinden von Geschichten aufplustert? Sich erregt? Der gern blauäugige Touristen vorführt? Hat er die Nerven seiner hübschen Frau überschätzt? Ist alles ganz anders und der (angebliche) Inhaber einer Privatschule jobbt als Gangster, der gern Geldbesitzer – kein Westler weiß ja, wohin mit seinem Reichtum – in dunkle Dörfer verschleppt? Wo die Kumpane die Beute k.o. hauen und ausschlachten. Oder sitzt Sanjog jetzt bei seinen Freunden und sie lachen Tränen über den Tropf, der auf jeden Humbug hereinfällt? Ich werde wohl mit dem Rätsel sterben müssen.
Ich schlendere zurück in mein Hotel, Frust ist ein brauchbares Motiv, um zu meditieren. Um das »Loslassen« zu üben. Ach, Sprüche. Über drei Stunden lang vibrierte eine Vorfreude durch meinen Körper, diese Aussicht auf Hitze und sensuelles Neuland. Jetzt muss er wieder zurück auf Normaltemperatur.
Aber heute gelingt die Meditation. Selten genug. Das Verlangen nach dieser unbekannten Frau verschwindet aus meinem Kopf und ich bin irgendwann einverstanden mit dem, was ist: ein stilles Zimmer, die Freude am Leben, die Aussicht auf eine fordernde Zukunft. Ich versuche, mir nichts einzureden, mir nicht den Abgeklärten vorzuspielen. Für eine kurze Zeit, immerhin, ist die Gier weg, jener Raubvogel, der wie kein anderer die Welt überzieht. Er wird wiederkommen, auch das weiß ich. So wie die Frustbeulen, für deren Heilung kein lautloses Sitzen auf einem Kissen reicht. Ich bin folglich gut vorbereitet für den Rest meiner Tage. Keine Hoffnung plagt mich.
Vor Tagen las ich ein Interview mit einem Feng-Shui-Master, sein Rettungsplan für alle von »seelischen Schocks« Beladenen klang übersichtlich. Der Betroffene setze sich vor eine Wand mit »orangefarbenen Tönen« und sage bestimmt: »Ich werde gesund, mein Trauma ist vorbei und ich bin vollständig geheilt.«
Der Meister ist ein Schlitzohr, er kassiert fürs Verkaufen von Illusionen. Er rechnet fest mit der Dummheit seiner Klienten. Und ihrer Sehnsucht, im Handumdrehen davonzukommen. Da lobe ich mir Vipassana, wieder einmal. Die Aussichten auf eine sofortige Heilung sind gleich Null. Kein Shangri-La wird versprochen, im Gegenteil. Man muss sich verausgaben, Hartnäckigkeit üben. Wie ungeil das klingt. Und wie aussichtsreich für jene, die sich für die Wirklichkeit entschieden haben.
Am nächsten Morgen muss ich aus dem Hotel laufen. Ich habe für alles bezahlt, aber sie wollen, dass ich mehr zahle. Weil eine Quittung im Büro verloren ging. Die Suche nach einem Stück Zettel kann in Indien Jahre dauern. Dummerweise lebe ich mit der Stoppuhr in der Hand. Also renne ich – guten Gewissens – davon, den Rezeptionisten im Nacken. Und springe in eine Rikscha, los. Nicht ohne freundlich dem Konditionsschwachen zuzuwinken. Ich mag eben beides. Still sitzen, nicht die kleinste Bewegung vollführen. Und den Körper auf Höchstgeschwindigkeit treiben und das Herz pochen hören.
Um acht Uhr im Zug nach Varanasi. Der Ansturm ist gehörig, aber keinesfalls beunruhigend. Was sehr überrascht: Wenn jemand einer fremden Person durch das Waggonfenster einen Schal reicht mit der Bitte, ihn auf einen noch freien Platz zu legen, dann gilt diese »Reservierung«, bis der Schalbesitzer sich durchgeschlagen hat und sitzt. Da, wo er hinwollte. Selbst dann, wenn inzwischen ein halbes Hundert Passagiere vorbeiflutete. Ehrfurcht vor einem Stück Baumwolle. Andere Länder, andere Spielregeln.
Die folgenden sechs Stunden Fahrt bringen viel Freude. Und Kopfschütteln. Keiner schnürt dem anderen die Luft ab, ich richte mich neben einem Fenster ein und der Chai-Baba bringt den Tee. In der Zeitung steht, dass die Regierung von Patna die Zuschüsse für die Polizeistationen erhöhen wird. Damit die Gewaltopfer, die wegen einer Anzeige kommen, nicht mehr selbst zum Markt rennen müssen, um Papier, Durchschlagpapier und Kugelschreiber zu kaufen. Mir fallen bei solchen Meldungen immer die Hochglanz-Reportagen ein, die im Westen seit zehn Jahren das Bild vom neuen »Wirtschaftsgiganten Indien« verbreiten. Produkte des typischen »Hotel-Journalismus«, dessen Vertreter in Hochglanz-Hotels absteigen und ihre Recherchen an der Hochglanz-Bar hinter sich bringen. Wo sich ähnlich resolute Mitstreiter – braun gebrannt vom langen Lungern am Swimmingpool – bereits eingefunden haben.
Sie schreiben über das »Indische IT-Wunder« und die Busenwunder Bollywoods und die Jeunesse dorée von Bangalore, eben
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