Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
über alles, was sich in sicherer Nähe ihrer Five-Star-Herbergen befindet. Sie machen es wie die Glitzerreichen im Land: Die Misere überfliegen sie und während kürzerer Distancen verstecken sie sich hinter den dunkel getönten Scheiben ihres Ambassadors . Mit Chauffeur. So übersehen sie gut gelaunt die achthundert Millionen, die noch nie von einem Aufschwung gehört haben. Das, so muss man es wohl verstehen, ist die »Neue Weltordnung«: Diejenigen, die nichts haben, sind nicht mehr. Sind verschwunden vom Radar des Medieninteresses. Ich habe mich oft gefragt, was an diesen Journaille-Schnöseln schwerer wiegt. Die Missachtung? Die Ignoranz? Oder diese mühelose Gleichgültigkeit?
Noch zwei Meldungen. Sie erzählen so viel. Man sieht ein Foto des bekannten Leopold Cafés in Mumbai. Auch dort haben die Terroristen vor kurzem gewütet und zehn Gäste erschossen. Die Leichen wurden inzwischen weggeräumt, dafür sieht man jetzt Touristen, die sich fleißig gegenseitig fotografieren. Bevorzugt an Tischen, wo Blut klebte. Die Bildunterschrift erklärt den Zusammenhang: Hier wurden kürzlich Leute abgeknallt und nun sind wir auch da. Extra reingeschneit. Geiler Ort. Lächelnd und schwer betroffen schauen sie in die Kamera.
Durchaus erheiternd jedoch die Nachricht zum hiesigen Heiratsmarkt: Der »techie« ist out, der Dipl-Ing. oder geniale Computer-Freak stehen nicht mehr an der Spitze indischer Frauen-Träume. Als Folge der Wirtschaftskrise. Jetzt suchen die Eltern wieder verstärkt nach solideren Schwiegersöhnen. Das wären Funktionäre, Lehrer, Ärzte. Die verdienen weniger (Bakschisch jedoch nicht vergessen!), sind aber »safer«, zuverlässiger, riskieren kaum, auf der Straße zu landen. Die Grafik daneben zeigt den aktuellen Kurs. Für einen höheren »Staatsbeamten« muss der Brautvater (aus gehobenen Kreisen) zwischen zehn und fünfzig Millionen Rupien hinlegen, 150 000 bis 750 000 Euro. Schriftsteller stehen gar nicht auf der Liste. Ich vermute, man bekommt sie umsonst.
Ein Weißer nimmt im Abteil Platz. Er hat etwas, das mir sofort gefällt. Sein Charme, sein Umgang mit den Einheimischen, die neugierigen Augen. Sie sind wohl die Voraussetzung für das Leben, das er die letzten zehn Jahre geführt hat. Nataniel muss sogleich berichten: Als 22-Jähriger läuft er von zu Hause weg. Er verlässt Buenos Aires und zieht in die Welt. Kellnert in Spanien, pflückt Baumwolle in einem Kibbuz, erntet Äpfel in Italien, melkt Kühe in Sarajewo, unterrichtet Spanisch in Deutschland, verdient immer so viel, dass es für die nächsten 500 Kilometer reicht. Und fliegt alle zwei Jahre nach Hause. Um zu erfahren, dass sein rigider Vater noch immer nicht mit ihm zufrieden ist. Die Vaterliebe, sie kommt nicht. Und die Liebe der Mutter auch nicht. Sie kann nicht, sie wurde krank, geisteskrank. »Vielleicht«, sagt Nataniel, »weil sie mit dem falschen Mann ihr Leben verbrachte.« Und so kehrt er jedes Mal wieder um, eilt jedes Mal weiter weg von der Familie.
Vor Monaten lebte er in Osaka, hatte sich auf Henna-Tätowierungen spezialisiert. Er reise, so beichtet er, um bei sich anzukommen. Er will eine Zukunft finden, die ihn das nächste halbe Jahrhundert anspornt. Zehn Jahre Jobben sei lehrreich, aber er brauche einen Beruf, nein – er sagt es leise, als geniere er sich – »eine Berufung«. Und jetzt habe er sie gefunden. Vor fünf Tagen kam er aus Thailand, wo er an einem Meditations-Camp teilnahm. Was er in regelmäßigen Abständen tut. Und diesmal, behauptet er scheu, »kam er über mich«. Er, das ist der Mut. Denn der Traum hat seit langem einen Namen. Der 32-Jährige will schreiben.
Seine Zurückhaltung ist löblich. Wie oft hat man sich beim Lesen eines Textes gewünscht, der Autor hätte für immer gezögert. Andererseits, der Respekt darf nicht ausarten. Eines Tages muss der Zögerling aufspringen und die Gefahr der Bruchlandung riskieren. Sonst taugt die ewige Suche nur noch als Ausrede, als Eingeständnis von Mutlosigkeit. Wer ohne Niederlagen durchs Leben will, muss Staatsdiener werden. So heißt der Lieblingsberuf der indischen Jugend. Wer es weniger gemütlich haben will, soll es als Schreiber versuchen. Die Freuden sind intensiver. Wie die Abstürze.
Das sage nicht ich, das sagte Nataniel. Nur die ersten zwei Sätze in dem obigen Absatz sind von mir. Wie klarsichtig er die Lage einschätzt. Schon beim Reden offenbart sich seine Begabung. Sprache benutzt er nicht nur, um Fakten mitzuteilen, er sucht auch
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