Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
mehr verlassen.
Wir haben Zeit, nach dem Mittagessen machen wir uns auf den Weg. Die Waden von Malulal haben in der Zwischenzeit nicht zugelegt, noch immer staksen sie knochenmager aus seinem Dhoti. Doch mein schlechtes Gewissen hat sich verändert, es ist kleiner geworden. Der Dünne besteht auf der Schinderei über die verbuckelte Landstraße. Er will es mir beweisen, soll er. Mein Eingreifen würde ihn nur demütigen. Links und rechts fällt der Blick wieder auf die Kühe, die Vogelscheuchen. Und die Männer, die vor ihren Häusern sitzen und – schauen. Wie damals, als wir zum ersten Mal vorbeikamen. »This is India«, sagt Malulal, so, als hätte er meine Überlegungen erraten. »No«, antworte ich, »this is my wonderful India.« Irgendwann müssen wir stehen bleiben, weil ein blindes Paar mitten auf der Straße tippelt. Behutsam führt sie Malulal zur Seite, mahnt zur Vorsicht. Das ist eine ergreifende Szene. Könnte man im richtigen Leben auf den »Restart«-Knopf drücken, würde ich sie mir immer wieder anschauen. Damit die Bilder mich nähren in raueren Zeiten. Kurz nach 14.30 Uhr kommen wir an. Am offenen Tor zum Dhamma Chakka Vipassana Center steht Harisingh und begrüßt mich. Sofort bin ich wieder verliebt in den Alten.
Ein provisorisches Büro wurde im Garten aufgebaut, mit zwei dieser typisch indischen Feldbetten, bei denen fest verzurrte Hanfstricke den Lattenrost ersetzen. Wer von den Teilnehmern nun eintrifft, setzt sich und muss erstaunlich wenig Bürokratie erdulden. Die Personalien, den Schulabschluss, den Beruf angeben. Und die Versicherung, dass man keine Seuchen einschleust, nicht »geisteskrank« und nicht »drogensüchtig« ist. Dann die Aufforderung, allen Lesestoff, jedes technische Equipment wie Computer, Radio und mp3-Player abzugeben. Plus Papier und jede Gerätschaft, die zum Schreiben dient. Plus jedes Gramm Tabak, jede (nicht lebensrettende) Pille, auch Schlaftabletten, auch das heimliche Säckchen Haschisch. Plus, zuletzt, alles religiöse Instrumentarium, Rosenkranz, Mala etc. Nichts soll ablenken, alles soll vorbereiten auf Isolierung, auf Konzentration, soll vom ersten Augenblick klar machen, dass keine Hilfe von »außen« zu erwarten ist.
Ich trage mich als Letzter ein, so besteht die Möglichkeit, kurz die Anmelde-Liste zu überfliegen. Acht Ausländer haben sich eingetragen, sechs Männer, zwei Frauen. Ein Australier, ein Schweizer, zwei Amerikaner, ein Japaner, ich, zwei Französinnen. Fast alle mit einem »university degree«. Von den dreizehn Indern und fünf Inderinnen erfahre ich nichts, sie alle schrieben in Hindi.
Harisingh weist noch darauf hin, dass ein »lezard repellent« zur Verfügung steht, ein Mittel, das Geckos in Schach hält. Weil beim letzten Kurs eine verschreckte Engländerin fluchtartig die Anlage verlassen hatte, aus Angst vor den (so harmlosen) Tierchen. Ob das der Grund war? Ob sie sich nicht vor ganz anderen Beklemmungen in Sicherheit brachte? Eisern sitzen und eisern den Mund halten und jeden Blick in sich hinein aushalten, das kann Angst machen. Zartlinge werden hier nicht geheilt. Deshalb auch die Frage nach den Abhängigkeiten, der geistigen Verfassung. Die Spielregeln von Vipassana – ganz ähnlich dem japanischen Zen – sind knallhart. Eine Zeit der Eingewöhnung gibt es nicht. Das Spiel, das so fordernde, beginnt sofort.
Jeder bekommt eine Zelle zugewiesen. Zwei Meter mal drei, Betonboden, zwei vergitterte Fenster, eine Holzpritsche mit einer Schaumstoff-Matratze – fünf Zentimeter dick am Rand, fünf Millimeter in der Mitte –, eine Wolldecke, eine Glühbirne (die – hinreißend indisch – nur tagsüber glüht), eine Nasszelle mit kaltem Wasser und einer Kloschüssel ohne Brille. But a room of my own , das soll zählen. Jagten mich doch Panikattacken bei dem Gedanken an Schlafsäle, in denen nachts das gnadenlose Heer der Schnarcher uns Nicht-Schnarcher in Geiselhaft nimmt. Und die nächste Panik bei der Aussicht auf »öffentliche« Toiletten, eine neben der anderen, mit oben und unten zu kurzen Sperrholzplatten als kümmerliche Trennwände. Wo einer dem anderen beim Defäkieren zuhören muss. Was für ein Akt barbarischer Nötigung. Wie trostreich, dass sie hier bei der Suche nach den großen Wahrheiten die kleineren nicht übersehen haben. Wie das Recht auf Diskretion. Klein, aber ewig.
Gang über das Gelände. Bougainvillea blühen entlang der lila Mauern. Ein Stacheldraht obendrauf. Sogar stumm sitzende Männer und Frauen
Weitere Kostenlose Bücher