Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
beweisen, ob ich mich in die Endlosschlange der Würstchen einreihen muss. Jetzt bin ich Oprah Winfrey, bin der, der schon so viel darüber gelesen hat, geredet hat, getan hat. Und noch immer nicht im Augenblick angekommen ist. Aber immerhin gehöre ich mit den anderen zwei Dutzend Teilnehmern hier zu den einsichtigen Würstchen. Die ein anderes Leben wollen, ein »Da-«sein mit mehr Intensität und Innigkeit. Eines, das sinnlicher nicht sein kann. Weil es jeden Moment, von einem zum nächsten, alle meine Sinne fordert. In der Pariser Metro las ich den Werbespruch: »Vous rêvez, moi, je réalise«, Sie träumen, ich realisiere. Werbung fürs Leben. Meditation wirbt auch. Aber nicht durch einen Mausklick landet man im Ziel, sondern durch Plagen ohne Zahl, durch beleidigte, schmerzkrumme Knie, durch einen Willen, der nicht mit sich verhandeln lässt.
In Zeiten, in denen rastlos »Wohlfühloasen« für unsere Windelgesellschaft angepriesen werden, klingen solche Reden eher unhip. Irgendwann bekommen wir eine Strampelhose übergezogen, sobald wir das Haus verlassen. Denn es nieselt und für den Nachmittag ist Windstärke Nullkommafünf angesagt. Aber dieser lauwarme Wohlfühl-Terror macht krank. Ich will, dass mich das Leben anfranst, dass es mich lebenslänglich daran erinnert, dass ich existiere.
Um 20.25 Uhr kommt über Band nochmals die Stimme von Goenka: »Take rest«, Aufforderung, unser Nachtquartier aufzusuchen. Ich werfe noch schnell einen (verbotenen) Blick auf die sieben Frauen. Beruhigender Blick. Keine Miss India und keine Miss France dabei, keine, die uns (Männern) die nächsten zehn Tage den Verstand rauben könnte, die innere Sammlung. Denn auf Schönheit zu blicken und an Schönheit zu denken lenkt ab, macht nicht ruhig. Einige sehen apart aus. Doch apart ist nicht gefährdend, apart ist angenehm. Das sind Macho-Gedanken, ich weiß, aber deshalb sind sie nicht weniger wahr.
Zurück in der Zelle begehe ich die erste Sünde, die Sünde des Schreibens. Ich notiere Stichpunkte. Trotz klarer Aufforderung, alle Schreibwaren abzuliefern, habe ich nur den Mac in Obhut gegeben. Weil nachts kein Strom vorhanden ist, man zudem das Tippen hören würde. Aber Papier und Filzschreiber sind lautlos. Und irgendwann kommt die zweite Sünde, wieder bei Kerzenschein. Ich lese. Gedichte.
Ich sündige schuldlos. Denn ohne (geschriebene) Sprache vegetiere ich. Kein Wort reden, keine Musik hören, keine Zigarillos rauchen, alles das kann ich unterbrechen. Ich komme die nächsten zehn Tage auch ohne Morden, Stehlen, Schmusen, Lügen und Drogen schlucken zurecht. Ich könnte sogar die drei weiteren, leicht bizarren »precepts« einhalten, die nur für die Fortgeschrittenen gelten, jene, die schon einen Vipassana-Kurs hinter sich haben: Keine Nahrungsaufnahme nach 12 Uhr mittags. Und nicht »tanzen, singen, Nachtklubs besuchen, Girlanden tragen und den Körper mit Kosmetika verschönern«. Und nicht, zuletzt, »in luxuriösen Betten übernachten«. Kann ich alles. Fasten, ungeschminkt einschlafen, kein Kingsize bed beanspruchen. Aber den Kopf ohne Nahrung ins Bett schicken, nur daliegen, nur daliegen müssen, ohne dass mich die klugen Gedanken eines anderen – via Buch – erreichen, das kann ich nicht. Nie.
Leider taugen die Kerzen nichts, verbrennen wie Zunder. Es ist kurz nach 22 Uhr, stockdunkel, und ich bin reif für die erste Depression. Weil jetzt Zeit ist, in die Luft zu starren und an die kommenden zehn Tage zu denken. Ungute Gedanken. Ich ertappe mich dabei, dass ich es wie immer mache, wie die meisten: Ich lebe nicht im Augenblick, bin lieber ein furchtsames Häschen, das woanders sein will, das sich schon wieder in die Zukunft verzieht. Weil es die Gegenwart nicht aushält.
Und ich kam hierher, um mir »Kraft fürs Leben« zu holen. Zum Lachen.
Ich döse, kann nicht vor Mitternacht schlafen. Mir fällt ein, dass einer der Beweggründe für das Reisen der Wunsch ist, das zu verlassen, was man schon kennt, eben das, was einem vertraut ist, ja oft schon ermüdet, schon lange nicht mehr begeistert. Das Verlangen nagt, dem Treibsand der Wiederholung zu entkommen. Und man zieht los, um das aufzusuchen, was fremd ist, unvertraut. Dennoch, zu Beginn ist eine Reise immer ein Versprechen, die fabelhafte Möglichkeit auf ein reicheres – Alexander von Humboldt nannte es so – »Weltbewusstsein«. Reisen, um sich bewusst zu werden, was die Welt alles zu bieten hat. An Horizonten, an Wahnsinn, an Mirakeln, an Wohltaten
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