Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
müssen sich in heutigen Zeiten schützen. (In zehn Tagen werde ich wissen, warum.) Das Areal ist etwa hundert Meter breit, zweihundert lang. Acht Gebäude gibt es, alle flach, nur mit Erdgeschoss. Die Male Dining Hall , die Female Dining Hall , die Unterkünfte der Männer, der Frauen, des Personals. Und die Dhamma Hall , ein unaufdringliches, achteckiges Konstrukt, hier wird meditiert. Ein Dutzend Solar-Schilder sorgen für Energie. Zwischen den Häusern liegen die Gemüsefelder. Hier bauen sie Kartoffeln, Tomaten, Kürbis und Rettich an. Die Mittel sind knapp, das Bewusstsein für die Natur und ihre Ressourcen ist stark.
An verschiedenen Stellen hängen Zettel, mit der Aufforderung zu »Noble Silence«. Das sind zwei bewegende Worte, eine Spur pathetisch, aber ungemein verheißungsvoll. Darunter stehen drei Ratschläge, um es erfolgreich durchzustehen: 1. Vermeide jeden Augenkontakt. 2. Gehe nicht zu den Zellen der anderen. 3. Gehe mit niemand anderem.
Um 17.45 Uhr gibt es Abendessen, Dhal, Reis, Gemüse, rein vegetarisch. (Unser letztes, freundlicherweise erfahren wir das erst morgen.) Im Nebenraum essen die Frauen. Der »Speisesaal« erinnert an eine Zuchthaus-Kantine, Fliesenboden, lange Tische, Plastikhocker, wieder die vergitterten Fenster. Hintereinander anstellen, zwei Mann Personal geben das Essen aus. Tee steht bereit. Ab jetzt gilt die Schweigepflicht. Hinterher in die Waschküche traben und das eigene Geschirr abspülen.
Dann nochmals Platz nehmen. Ein Band läuft und jemand mit amerikanischem Akzent liest die »rules« vor, die auf dem Flyer standen, verweist zuletzt auf die Schlangen, die es hier gibt. Und die keinen schrecken müssen. Wer sie entdeckt, soll die Helfer verständigen, dann wird das Tier entfernt. Die Stimme klingt angenehm, kein Kasernenhof-Gebrüll. Gelassen werden die Richtlinien vorgestellt, die Meditationszeiten, die Essenszeiten, die Ruhepausen. Und natürlich müssen alle Neuen die »fünf Grundgebote« des Buddhismus respektieren (leicht den modernen Zeiten angepasst):
– Kein Lebewesen töten (und quälen).
– Nicht stehlen.
– Kein sexueller Fehltritt. (Was immer das bedeuten mag.)
– Nicht lügen.
– Keine Drogen. (High soll die Meditation machen, nicht die Chemie.)
Die halbe Stunde vergeht ohne drohenden Unterton, ohne fundamentalistische Anmaßung. Kein Rauswurf wird bei Nichtbeachtung in Aussicht gestellt, es wird immer nur an die eigene Verantwortung appelliert. Einen »Code of Discipline«, den gibt es. Und Disziplin, die aus freiem Willen akzeptierte, ist lobenswert. Würde nur der leiseste Verdacht religiöser Inbrunst auftauchen, ich würde packen und rennen. Ich suche kein Glaubensbekenntnis, ich will eine Technik lernen, die mir hilft, mein Leben zu intensivieren. Klugerweise stand in den von Harisingh verteilten Unterlagen noch, was Vipassana NICHT ist: »Es ist kein Ritual, das auf Glauben beruht. Es ist weder eine intellektuelle noch philosophische Unterhaltung. Es ist keine Kur, kein Urlaub, kein Ort, um Leute kennen zu lernen. Es ist kein Fluchtweg, um den Zumutungen und Wirrungen des Lebens zu entkommen.«
Diese Zeilen machen Mut. Weil sie vollkommen illusionslos klingen. Kein verlogenes Geplärr, das sofort grandiosen Erfolg verspricht. Nicht das debile Geschrei der Werbeindustrie, das mich zu einer Schafsnase machen will, die alles schluckt, was man ihr um die Ohren haut. »In drei Tagen Chinesisch lernen!« und »In fünf Tagen fünf Kilo weg!« und »In zehn Tagen erleuchtet!« Kein spiritueller Crash Course wird feilgeboten. Nein, hier scheint der Ort zu sein, an dem sie lediglich anspornen, nach den eigenen Reserven zu fahnden. Um alle überirdischen Schutzpatrone zu demontieren. »For adults only«, ein Programm nur für jene, die nicht »Höhere« anwimmern, sondern bestimmt und beharrlich an die eigenen Kräfte glauben. Und die der anderen. Rüber zur Dhamma Hall , die erste Meditation steht an. Die kleine Halle ist vollkommen schmucklos, keine Buddha-Statue, keine Fotos, kein Altar, nicht mal Räucherstäbchen, nur die aufgereihten Kissen auf den Teppichen. Kein Hinknien, kein Hinwerfen, nur: Links setzen sich die Männer, rechts die Frauen, vorne auf einem niedrigen Holzpodest nimmt der »Guruji« (Kosename für Guru) Platz, Dr. Ram Nayan Singh. Pensionierter College-Professor und von Goenka ausgebildeter Meditationslehrer, fast achtzig, still, wenig redend. Er wird die nächsten zehn Tage mit uns »sitzen«. Er kann es.
Es beginnt
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