Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
irgendwo sonst ihren himmlisch-kindischen Simsalabim treiben, die Lehre vom rigoros götter- und göttinnenlosen Vipassana zu verbreiten. Mit Erfolg, mit imposanter Erfolglosigkeit. Die Zahl der Meditationszentren stieg, sie vergrößerten sich, Goenka bildete Hunderte von Lehrern aus, die Kurse waren voll, die Wartelisten lang, der Enthusiasmus ungebrochen. Aber alles betrifft – im Vergleich zur gigantischen Einwohnerzahl – immer nur die »ungeheure Minderheit«. Ein paar Tausend im Meer von elftausend Millionen.
So sollten wir es gefasst aussprechen: Auch die Herren Buddha, Sayagyi und Goenka werden an den Grundfesten im Universum nicht rütteln: Die »breite Masse« – feiner ausgedrückt: die Mehrheit – ist an eigenständigem Denken und Handeln nicht interessiert. Sie lässt denken und sie wird behandelt. Das ist die nackte, seit Jahrtausenden unzumutbare Wahrheit. Ganz und gar unfreundlich. Aber sie ist es. Ich bin somit nicht hierher gekommen, weil mich der Wahn verfolgt, der Buddhismus oder Vipassana trügen zur Verschönerung der Welt bei, der Weltbewohner. Mitnichten. Ich bin da, um »erwachsen« zu werden. Um das eine, das einzige Leben so zu leben, dass ich auf dem Totenbett nicht in Tränen ausbreche über die vielen blassen Tage, die hinter mir liegen. Stärke ich hier zudem meine Bereitschaft zur Freundlichkeit, zum Mitgefühl mit allem, was Schmerz empfindet, dann will ich zweifach dankbar sein.
Goenka sitzt auf einem Stuhl und redet. Er überwältigt vom ersten Wort an mit seiner Bescheidenheit und seiner Güte. Er spricht ruhig und fehlerlos Englisch. Und er verfügt über Humor, über Witz. Die Angst, dass wir nun zehn Abende lang einem vom eigenen Sermon überwältigten Heilsprediger ausgesetzt sind, ist gänzlich unberechtigt. Man sieht nur ihn, den Kopf, den Oberkörper, das frisch gebügelte Hemd. Nichts im Hintergrund, keine um den Meister schwirrenden Elfen, niemand schwenkt einen Palmenwedel, kein Halleluja-Chor. Es handelt sich bei den Reden um Mitschnitte einer Tour durch die USA. Aus dem Off dringen bisweilen ein paar ironische, dreckige Lacher des Publikums, Antworten eben auf Goenkas Fähigkeit, jede Art von Hochheiligkeit zu vermeiden. Ich entspanne.
Die (freie) Rede dauert über eine Stunde. Ein wichtiger Punkt: »Know thyself«, (er)kenne dich selbst. Meditation ist ein fulminantes Mittel, um sich auf die Schliche zu kommen. »Wer bin ich?« ist eine Frage, von der die meisten glauben, sie hätten eine Antwort darauf. Und sie ahnen nicht einmal, wie weit diese Antwort von der Realität entfernt liegt.
Und der zweite Punkt, das Lieblingsthema aller, die den Segen der Meditation entdeckt haben: Unser (fast) totales Unvermögen, im Augenblick zu verharren. Natürlich, so Goenka, entstehen Situationen, in denen man an die Zukunft oder die Vergangenheit denken muss. Aber doch nur in dem Maße, in dem sie helfen, die Gegenwart zu meistern. Kann man sich eine dünnere Existenz vorstellen als jene, die alles unternimmt, um vor dem Leben – und die Gegenwart ist der einzige »Ort«, wo das menschliche Leben stattfindet – davonzurennen?
Zuletzt singt Goenka, aber erträglich kurz, dann der immer gleiche Schlusssatz: »May all beings be happy.« Wir gehen ins Freie, spazieren durch den Nebel. Ein paar Lichter brennen. Keiner spricht, jeder vermummt unter seiner Decke über den Schultern. Winternacht in Nordindien. Ein Bild wie aus einem Film, so fern der Welt scheint es.
Dann nochmals in die Dhamma Hall , in der nun der Vortrag in Hindi zu Ende ist. Die letzte halbe Stunde Sitzen wartet. Was Goenka sagt, ist längst gesagt worden. Auch von Leuten, die nie in Asien waren, sich nie dem Buddhismus nahe fühlten. Nehmen wir die Weisheit des französischen Philosophen Blaise Pascal, 364 Jahre vor Goenka wusste er bereits: »… Die Gegenwart ist nie unser Ziel (…) Die Zukunft allein ist unser Ziel. Also leben wir nie, aber wir hoffen zu leben. Und da wir uns immerzu vorbereiten, glücklich zu sein, ist es unvermeidlich, dass wir es niemals sind.« Erstaunlich für einen Christen, dass er »leben« und »glücklich sein« in einem Atemzug ausspricht. Am Leben sein ist Glück. Wie wahr.
Um 21 Uhr kommt das erlösende »Take rest«, der offizielle Tag ist vorbei. Zurück in die kühle Zelle. Kein Strom, ich zünde eine Kerze an (von Harisingh gespendet), ungewaschen und angezogen mit zwei Hosen, zwei T-Shirts und einem Pullover lege ich mich auf die Pritsche. Die Anti-Moskito-Spirale
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