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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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generieren. Das Wort »soll« ist natürlich fehlbesetzt, da Aufrufe zur Menschlichkeit noch nie per offizieller Appelle fruchteten. Nein, Goenka ist überzeugt, dass der Akt des Meditierens, sprich, das Auflösen oder immerhin das Besänftigen von nervenzehrenden Spannungen auf natürliche Weise Kräfte freisetzt, die zur Verträglichkeit mit der Welt beitragen. Jeder weiß, dass sein Mitgefühl-Quotient in dem Moment steigt, in dem er sich »calm, cool and collected« fühlt. Und sodann der Krieg in seinem Kopf – gegen sich und den Rest der Menschheit – aufhört. Zumindest eine Waffenruhe stattfindet. C. G. Jung hat es schon vor achtzig Jahren notiert: »Kommt der Mensch in Ordnung, kommen die Dinge in Ordnung.«
    Wäre Vipassana eine kalte Technik, die aus Männern und Frauen lediglich Androide schmiedet, die souverän atmen und souverän sich konzentrieren können, es wäre der Rede und der Mühe niemals wert. Auch die Gottlosesten verlangen nach etwas, das sie rüstet, aufrüstet gegen die Anwürfe des Lebens. Und ohne Menschenliebe, bescheidener, ohne Menschenfreundlichkeit kommt keiner durch. Bert Brecht hat für alle eine ewige Wahrheit aufgeschrieben, die an ewige Wahrheiten nicht glauben: »Das Schicksal des Menschen ist der Mensch.« Mich wundert, wie viele einen derart eklatanten Tatbestand so hartnäckig übersehen. Und den Himmel absuchen nach Beistand. Und nie aufhören wollen, ins Leere zu starren.
    In London zirkulieren seit einiger Zeit Doppeldecker-Busse mit der Aufschrift: »Wahrscheinlich gibt es keinen Gott, also höre auf, dich zu beunruhigen, und genieße dein Leben.« Die privat gesponserte Aktion war eine Antwort auf eine Initiative christlicher Kreise. Ihre frohe Botschaft endete damit, dass jeder, der nicht an Gott glaube, »… eine Ewigkeit in der Hölle schmoren wird.« Die immer selben Drohgebärden, die immer gleichen Gräuelmärchen, der immer gleich bleibende Drang, uns mit einem (schrecklichen) Gott das Fürchten zu lehren.
    Ach, wie gut es mir geht. Ich schaue einem greisen Inder zu, der mir zuletzt »be happy« zuruft, noch ein paar Sekunden in die Nacht »singt« (das scheint Goenkas talentloseste Leidenschaft) und uns dann entlässt.
    Der letzte Spaziergang, die letzte Meditation. Die anderen Teilnehmer werden immer geheimnisvoller. Weil ich noch immer keine Indizien von ihnen besitze. Vermummte, die sitzen und keinen Mucks preisgeben. Selbst die Unzivilisierten halten nun still, kein Laut dringt mehr aus ihren Körpern.
    In der Zelle habe ich Zeit, um über den Vortrag nachzudenken. Nichts wird mich bis Mitternacht ablenken. Das muss jetzt sein. Mein Hirn brennt, denn besonders ein Gedanke Goenkas mahnt zum Widerspruch: dass jeder seines Glückes, seines Unglücks Schmied ist. Zugegeben, ich mag diesen doktrinären Satz und habe ihn mir längst in die Stirn geritzt. Um mir alle Notlügen und jeden Fluchtweg abzuschneiden. Um keine Zeit mehr mit der Suche nach Sündenböcken zu verlieren. Floppe ich, dann liegt die Verantwortung bei mir. Point final . So ein Spruch macht stark, ja frei. Ich hasse winseln.
    Gleichzeitig weiß ich, dass diese Aussage – Glück und Schuld liegen ausschließlich in eigener Hand – trügerisch sein kann, oft nur nach nacktem Unfug klingt. Das Thema bedrängt mich seit langem, jetzt muss ich es aufschreiben, es klären. Zudem gehört dieser herrische Satz – »Du allein bist haftbar für dein Leben!« – zur Grundausstattung des Buddhismus. Einspruch!
    Mir fällt die Gegenaussage – »Du bist es nicht!« – immer dann ein, wenn ich Glück habe. Und noch intensiver ist die Erinnerung, wenn ich mich in einer Situation befand, aus der ich davonkam und andere nicht. Hier ein Auszug aus meiner Glückssträhne: Ich fahre mit einem Bus durch Peru. Als ich mein Ziel erreiche, höre ich vom Busfahrer, dass die Rückkehr vorläufig nicht möglich ist. Warum nicht? Weil nach uns – der Mann erfuhr es über sein Handy – eine Brücke einbrach. Und mit ihr der nächste Bus des Unternehmens, der erst dreißig Meter tiefer zum Halten kam. Mit siebzehn Toten an Bord. Bin ich nun verantwortlich dafür, dass ich heil ankam?
    Nächstes Beispiel: Nachdem Mohammed Atta am 11. September 2001 mit einer American-Airlines-Maschine in den Nordturm des World Trade Centers gerast war, schaute ich in meinem Tagebuch nach und sah, dass ich mich auch einmal ganz oben befand, im Windows of the World -Restaurant. Allerdings 3471 Tage, bevor Atta zum Massenmord ausholte.

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