Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
komplizierter, Goenka redet, na endlich, über »sexual misconduct« und zitiert unter anderem das Verbot des Ehebruchs. Derlei Geleier kenne ich vom christlichen Beichtspiegel. Ich verstehe es heute nicht besser. Denn ganz offensichtlich hat eine Ehe irgendwann zu siechen begonnen und ganz offensichtlich sucht die Frau (oder der Mann) nach etwas, was im drögen Alltag nicht mehr vorkommt. Aufregung, Erregung, Leidenschaft, Sinnenfreude. Ich behaupte sogar, dass so mancher Seitensprung eine Ehe gerettet hat. Als erfolgreicher Wiederbelebungsversuch eines Ehegrabs. Oder dazu beigetragen hat, dass zwei sich (schließlich) trennten, die sich schon lange nicht mehr nah sein wollten. Es gibt nur eine Prämisse, wenn vom Eros die Rede ist: Zwei entschließen sich aus freien Willen zu einer (sinnlichen) Tat. Und alles andere gehört in die Schublade »Moraltheologie«, die schon oft dazu taugte, die Wonnen des Lebens zu desavouieren.
Aber bald wird Goenka wieder modern, lässt den Ranz hinter sich, fordert uns auf, »ardently« (brennend) und »persistantly, constantly and continuously« die Mühen des Sitzens auszuhalten. Auch die Pein, auch die Langeweile, auch das Gefühl von Leere und Sinnlosigkeit. Das ruhige, hochkonzentrierte Atmen, das – von keiner Moral zensierte – Wahrnehmen der gröbsten wie der subtilsten Regungen, all das führe zu mehr Klarheit über uns selbst, zu mehr innerem Halt, mehr Selbstverantwortung. Durch diese Technik wird der Meditierende »zentrierter«, die Zerrissenheit lässt nach, er findet eher zu seiner Identität. Meditation lädt die Batterie der Achtsamkeit wieder auf. Und sie ist das Gegenteil von Weltflucht, denn sie lotst mitten in die Welt hinein, eskortiert jeden Flüchtigen zurück ins Zentrum seiner Existenz, zu seinem Herzschlag und seinem Atem. Sinnlicher, sprich, sich aller fünf Sinne bewusster, kann einer nicht existieren, nicht in der Welt sein.
Um nachzulegen, ironisiert Goenka – eher duldsam als zynisch – den Zeremonien-Schnickschnack offizieller Religionen. Das Anbetteln von Gott und Göttern, die Opfergaben, die heiligen Männer und heiligen Jungfrauen, die Reden von spätem Trost und später Rache. Bei Vipassana gibt es keine Außerirdischen, auch kein Verlangen, darüber zu sinnieren. Aber es gibt die Gewissheit, dass jeder seinen Himmel oder seine Hölle oder beides in sich trägt. Und die Gewissheit, dass kein Erzengel, kein Allmächtiger, keine unbefleckte Gottesmutter, kein indischer Hanuman, kein Shiva und kein Götterliebling Krishna je einen Finger krümmten und je einen krümmen werden, um ihren Ergebenen zu Hilfe zu eilen. Vipassana ist gnadenlos einfach: Jeder ist seines Glückes Schmied. Und seines Unglücks, das auch. Als Trostspender funktioniert es nicht, kein Halleluja-Brevier, keinen Ablasshandel, keine überirdischen Räuberpistolen hat es im Angebot. Von Ikkyu Sojun (ich habe ihn schon einmal zitiert) gibt es eine muntere Anekdote: Ein Schüler bittet um Rat und der Meister verpasst ihm einen verbalen Querschläger, der auch das Denken von Vipassana resümiert. Sein Satz verwundet nur den, der ihn nicht versteht. Für alle anderen klingt er heiter und aussichtsreich: »Ich würde dir gerne etwas anbieten, um dir zu helfen, aber leider haben wir im Zen überhaupt nichts.«
Vielleicht doch ein paar erklärende Worte. Sojun will sagen: Hör zu, guter Mann, Zen (Vipassana) ist kein Devotionalien-Bauchladen, wo du dir ein Kapuzinerbild, einen Liter Weihwasser und eine halbautomatische Gebetsmühle kaufen kannst. Soll sich irgendetwas ändern in deinem Leben, musst du dich ändern. Weder von oben noch von unten ist Unterstützung bzw. Widerstand zu erwarten. Ein Meditations-Lehrer kann dir die Richtung weisen, er kann dir gliederstärkende Ideen mitgeben, er kann dich warnen und anspornen, aber dorthin aufbrechen – zu einem anderen Sein – musst du. Du allein.
Noch ein Gedanke Goenkas heute Abend, und er entspringt wohl der unübersehbaren Gefühlswärme, die von ihm ausgeht. Als Reporter lernt man, jeden gehörten Satz einer »öffentlichen Person« durch einen Lügendetektor zu schicken. Um den Hintergedanken des anderen, seinen Bluffs auf die Spur zu kommen. Um die feine Linie aufzuspüren, die Wirklichkeit und Bigotterie voneinander trennt. Aber bei Goenka bröckelt mein Misstrauen, er fordert noch immer keine Rupie, fordert noch immer zum Unglauben auf.
Vipassana soll, so seine Rede, die Nähe zu den anderen befördern, soll Herzlichkeit
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