Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
von Anfang an Gelegenheit, der Scheinheiligkeit bei ihren Auftritten zuzusehen. Wie sie heilig redet und unheilig tut. Ich verdanke dem Katholizismus enorm viel. Er hat mich – natürlich nicht in seinem Sinne – zur absoluten Verpflichtung gedrillt, eigenmächtig und eigensinnig den Pfaffensingsang mit der Wirklichkeit zu vergleichen. Dieses Bedürfnis werde ich beim Buddhismus nicht abstellen. Sagt einer »Es gibt kein Ego!«, sage ich »Stimmt das?« Mich nerven Zeitgenossen, die sich empört vom Christentum verabschieden und drei Wochen später jeden Regenwurmtanz und jeden Schalmeien-Dreiklang aus Hinterborneo als spirituelles Nonplusultra anhimmeln. Die sich plötzlich die Allüre des »Wissenden« aufsetzen und ab Montag nachbeten, was ihnen am Sonnabend eingebläut wurde.
Natürlich versteht man das Verlangen, irgendwo anzukommen und »sicher« zu sein. Aber ich funktioniere nicht so. Ich will für meine Sicherheiten und Reinfälle selbst verantwortlich sein. Ich halte Sicherheit nur aus, wenn ich mir sicher bin. Und nicht, weil ich jemandem beim Predigen zugehört habe. Und predigte Herr Buddha. Es gibt diese Todsünde, sein Innerstes zu verleugnen. Und die begehe ich nicht.
Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass ich mit Hilfe von Vipassana lernen kann, die gröbsten Ausfälle meines Ichs zu zügeln. Damit im Laufe der Zeit kein Monster-Ego aus mir wird. Damit ich nicht einknicke vor den smarten Hohlköpfen, die vor meinen Augen die Welt verschachern. Damit ich eines Tages nicht mitschachere. Ich will mein Ich zur Mäßigung überreden, es entschärfen, ihm begreiflich machen, dass noch andere Ichs in mir (wie in uns allen) vorhanden sind: Wie jenes, das sich von der Idee des Mitgefühls bewegen lässt. Auch davon redet Vipassana.
Zwischen dem Brausen im Hirn meditiere ich, tatsächlich. Und weiß zugleich, dass kein Leser, der nie dabei war, begreifen kann, was es heißt: stundenlang da zu sitzen und stundenlang nichts zu tun und stundenlang den Atem an der Spitze der Nase zu beobachten. Ja, noch weniger begreift, wenn er erfährt, dass hinterher – als eine Art Belohnung – die Sonne wärmen wird, ein passables Essen wartet, zuletzt ein Rundgang vorbei an roten, blauen und gelben Blumen entspannt. Wie bukolisch das klingt, wie nach Labsal und Ferien. Nein, nein, nein. Alle zwanzig Minuten will man aufspringen und schreiend davonrennen.
Hat man den ersten Tag hinter sich, kennt man den Ablauf. Die Routine ist gewollt, sie soll die Konzentration fördern. Auch das Ritual mit dem Guruji wiederholt sich. Man wird nach vorne gebeten, er fragt, ob alles in Ordnung ist, man nickt oder sagt »ja, aber -«, auch gut, dann wieder fünf Minuten mit ihm sitzen und meditieren. Dass er sich auf keine Diskussionen einlässt, wirkt geradezu bestärkend. Jeder würde nur klagen und stöhnen, nur um Mitleid heischen. Interessiert keinen! Geh zurück! Sitz aufrecht und meditiere! Vipassana soll stark machen, wappnen gegen die Fallen träger Komfortsucht.
Wird eine Frau gerufen, dann legt eine Helferin ein anderes Kissen vor den Meditationsleiter. Undenkbar, dass sich ein – gegen die Kühle – dick vermummter Frauenhintern auf etwas niederlässt, wo sich gerade ein dick vermummter Männerhintern befand. Diese hysterische Schreckhaftigkeit, was die Nähe von Mann und Frau betrifft, die zählt nicht zu den Leuchtpunkten des Buddhismus. Das hat er, obwohl keine Religion, mit ihnen gemeinsam. Diese Abscheu vor Sinnlichkeit. Als ob der Geist mehr wert wäre als die Freuden der Sinne. Wie dieser Antagonismus anstrengt, diese Leibfeindlichkeit. Jeder, der mit Sex aufräumen will, beweist nur, dass er nie guten Sex hatte. Nervtötend.
Nach dem Mittagessen marschiere ich in die Zelle. Um mich zu waschen. Ich will (meine) Energie sparen und beschließe, dass einmal pro Tag die eisige Dusche reicht. Dann lege ich mich auf das Surfbrett und hole den (versteckten) Stift und den (versteckten) Block hervor. Wie zwei Bojen in stürmischer See fühlen sie sich an. Man mag mir vieles rauben, aber das Alphabet gebe ich nicht her. Das wäre, als verböte man mir zu atmen, als forder-te man mich auf, in ein haltloses Leben zu schlittern. Es gibt einen indischen Aphorismus, der klarer nicht sein könnte: »Der Mensch ist das, was ihm bleibt, nachdem er bei einem Schiffsunglück alles verloren hat.« Ich werde nie alles verlieren. Wo immer ich strande, werde ich die Sprache mit an Land ziehen.
Einen Teil der vier Stunden langen
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