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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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auf der Rampe von Auschwitz. Allen Rampen, auf denen über einen grausigen Tod entschieden wurde. Und weiß dann natürlich, warum die Nazis ein paar Hunderttausend jüdische Kinder – um nur ein Beispiel zu nennen – vergast haben: Die Gören und Bengel haben es sich selbst zuzuschreiben. Sicher waren sie früher – vielleicht im 18. Jahrhundert oder im Mittelalter oder als Zeitgenossen von König Herodes – Auftragskiller, Puffmütter, Hurensöhne, Waffenschmiede, gar Christusmörder. Sie haben Unheil gesät, jetzt ernten sie Zyklon B.
    Mir hilft das Eso-Gemurmel vom Karma nicht weiter, nichts als eine vorlaute, gar unmenschliche Vermutung. Die nicht wirklicher wird, wenn man sie Jahrtausend für Jahrtausend inbrünstig nachbetet. Habe ich etwas von Vipassana, von Zen, verstanden, dann das: dass einer meditiert, um sich leichtfüßiger in seinem Dasein zurechtzufinden. Mit weniger Angst, weniger Wut, weniger Lust auf dümmliche Zerstreuung. Und mit mehr Heiterkeit, mehr Freundlichkeit, mehr Empathie. Meist fällt mir am Ende eines Tages, wie jetzt, mein Lieblingssatz von Karl Kraus ein: »Gibt es ein Leben vor dem Tod?« (Er fällt mir jeden Tag ein.) Ein Weckruf wie ein Peitschenknall. Möchte man glauben, und doch: Viele vergeuden ihr Leben, ihr einziges. Dafür bramarbasieren sie von ihren anderen Leben, die sie dann – so darf man vermuten – ähnlich entschieden vernachlässigen.
    Vipassana peitscht auch. Es ist kurz vor Mitternacht und ich bin nicht müde. Zudem freudig gestimmt. Die letzten drei Stunden habe ich nicht meditiert, eher kontempliert, zwei, drei Gedanken entschlackt. Ich kann nur entspannen, wenn ich mit meinem Kopf im Reinen bin. Als ich die zwei Kerzen ausblase, fällt mir wieder das Pfeifen der Züge auf. Sonst kein Laut, sogar die Stimmen der Nachtwächter sind verstummt. Die Hausordnung bestimmt: »Lights out at 9:30 pm«. Aber um diese Zeit sind die Generatoren schon aus, ist das Licht längst verschwunden. (Das bei mir nie leuchtete.) Am Schimmer der Kerzen scheint sich keiner zu stören.
    Das griechische Wort für Glück hieß »Eudaimonia«, soll sagen, die schlimmen Dämonen in uns sind zur Ruhe gekommen, nur noch die guten bleiben zurück. Wie jetzt. Sorgsam verstecke ich Filzschreiber und Papier. Der Grauen erregende Gedanke, dass ich um vier Uhr wieder aufstehen muss, holt mich nicht mehr ein. Zugedeckt von meiner gesamten Garderobe schlafe ich ein.

DRITTER TAG
    Indien kann erbarmungslos zuverlässig sein. Um vier Uhr tönen die Glocke und das Glöcklein. Da Ausreden nicht gelten, versammeln wir uns eine halbe Stunde später in der Dhamma Hall . Einer fehlt, ein Inder. Der Erste. Wie ich später von Harisingh erfahre, hatte er den Stress satt. Verständlich.
    Das Training beginnt. Mit ein paar Minuten Schonfrist, denn Goenka, immer mit der Geduld eines fürsorglichen Pädagogen, wiederholt einmal mehr die Grundlinien der Praxis, verweist auf den Atem, die Konzentration, die »persistance«, den Willen, nicht aufzugeben.
    Und wie jeder von uns trete ich an, versuche, den streunenden Verstand in die Gegenwart zurückzupfeifen. Denn sofort will er davon, schon um halb fünf morgens will er sich mit der Vergangenheit trösten oder eben nicht trösten, will wieder einen (virtuellen) Krieg führen, den er schon damals, in der Wirklichkeit, verloren hat. Will die Niederlage nochmals durchspielen, will sie nicht hinnehmen, nicht loslassen.
    Ich habe nichts gegen meinen Verstand, im Gegenteil, ich verdanke ihm so manches. Geld, den Beruf, die vielen Glücksmomente, die er mir schenkte, wenn ich anderer Leute Gedanken las und sie als elegant und klug erkannte. Welches Glück kann intellektuelle Einsicht verschaffen, wie viel wärmende Nähe zu fernen Fremden herstellen, die durch ihr Denken und ihre Erkenntnisse die eigene Einsamkeit, eigene Verworrenheit lindern. Aber jetzt will ich nicht denken, nicht vordenken, nicht nachdenken, will versinken in Geistesabwesenheit und Gedankenlosigkeit. Um »leer« zu werden, um diesen Zustand bodenloser Seligkeit zu finden. Denn außer meinem Hirn bewohnen noch andere Teile meinen Körper. Auch die wollen schweben und abheben.
    Geht nicht. Ich muss antreten und denken. Wahrlich grotesk, ich befinde mich an einem sensationell friedlichen Ort und Szenarien voller Gewalt ziehen durch meinen Kopf. Seit diesem Morgen. Ein ums andere Mal muss ich zurück auf ein Schlachtfeld, muss gegen Männer und Frauen antreten, die vor Jahren, auch vor vielen

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