Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
als auf der Welt zu sein?
Ich bin ein Kind meiner (europäischen) Zeit, meiner Jahrhunderte. Ich kann nicht Inder sein, der ganz andere Jahrhunderte hinter sich hat. Es gibt einen eleganten Satz von Salman Rush die dazu, er stellt wunderbar klar: »Das vielleicht größte Geschenk, das die Renaissance unserer heutigen Zeit gemacht hat, ist die Entdeckung des Individuums und die Idee von einem souveränen und einzigartigen Selbst.«
Die Kerzen in meiner Zelle knistern noch lange. Ich liege und bin wohltuend erschöpft. Hocken und nur immer nichts tun – geraden Rückens, das schon – kann gewaltig anstrengen. Während des Tagebuchschreibens fällt mir ein, dass Goenka die Praxis von Vipassana noch als Vorbereitung aufs rechte Sterben anpries. Weil man damit auch den Verlust des Einmaligsten – des eigenen Lebens – gelassener hinnehme. Das klingt logisch, triftig. Wie gern man es glauben will. Wie Beruhigungstabletten schlucken wir Sätze, die den endgültigen Abschied erleichtern sollen. (Monotheisten schlucken seit zweitausend Jahren die Paradies-Pille. Jeder braucht sein Placebo.)
Zufälligerweise habe ich eine Geschichte in petto, die nicht logisch klingt, dafür ergreifend echt: Der japanische Zen-Meister Shunryu Suzuki kam 1959 nach Amerika und gründete in Kalifornien das Zen Mountain Center , das erste buddhistische Kloster außerhalb Asiens. Der Roshi war entschieden, tapfer, beliebt, hoch verehrt. Sein Buch Zen-Geist /Anfänger-Geist wurde ein Bestseller.
Dann kam der Krebs. Der Roshi wurde noch tapferer, mit einem meisterlichen Zen-Lächeln sah er den Tod näherrücken. Nah bis ans Totenbett, so nah, dass sich der Kranke endlich inne wurde, was es bedeutete, die Welt, die Frau und alle anderen Freunde zu verlassen. Und er die Hand eines Schülers ergriff und leise sagte: »Ich will nicht sterben.« Ein halbes Jahrhundert hat er sich auf diesen Moment vorbereitet und bei der Premiere fällt er durch. Wie menschlich.
Beim Sterben ist jeder der Erste und auch Vipassana (oder Zen) wird uns die scheußliche Angst davor nicht nehmen. Doch sie eindämmen, den Level der Bedrohung runterfahren, das scheint durchaus möglich. Ist es doch ein Unterschied, ob ich gefasst und trocken meinen Unwillen kundtue, weil nun mein Leben aufhören muss, oder ob ich unversöhnt und höllisch verängstigt abkratze.
Ich lese noch. Selbst auf einem Surfbrett ist das ein wundersamer Zeitvertreib. Ich lese, dass die Tibeter »rangwang« für Glück sagen und »shenwang« für Unglück. Die gemeinsame Endsilbe »wang« bedeutet u.a. Kraft, Recht, Anspruch. Und »rang« steht für selbst und »shen« für anderer , sprich: Es geht dir gut, wenn du über dich selbst bestimmst, frei bist, entscheiden und auswählen kannst. Und lausig, wenn ein »Fremder« über dich bestimmt. Das kann ein anderer Mensch sein oder ein »anderer Gedanke«, einer, der deinem Innersten widerstrebt, aber dir einst wie ein Gifttrank eingeträufelt wurde. Durch Erziehung, durch Religion, durch jede andere Indoktrination.
FÜNFTER TAG
Nach Mitternacht Kerzen aus und um 2 Uhr 39 wieder aufwachen. Unglückliche Hunde bellen, von weit her das Gedudel einer Hochzeit. Schon erstaunlich, wie sich Mensch und Tier verbünden, um den Terror der Stille zu vertreiben. Krach als Lieblingslärm. Warum erfindet die Nasa keine Sonde, die man über die Haustür hängt, und alle Kläffer, bis hinauf zum Mond, flüstern nur noch? Und warum gibt es kein Vipassana für alle Säugetiere? Angeblich werden böse Menschen auch als räudige Vierbeiner (ja, als Dreibeiner!) wiedergeboren. Wer bellt und kreischt, müsste eine Woche Strafesitzen in der Dhamma Hall .
Kurz vor halb fünf sieht die Welt hier aus wie im London des 19. Jahrhunderts. Der Nebel, die dusteren Lichter am Weg, die dunkel verhüllten Figuren, von denen keine spricht. Die Schritte auf dem Kies.
In der Meditationshalle fehlen zwei indische Frauen, ihre Plätze bleiben frei. Am zehnten Tag werde ich von Harisingh den Grund erfahren. Ich greife voraus: Die beiden wurden gebeten, das Gelände zu verlassen, da sie sich hochmütig gegenüber dem Personal benommen hatten. Hochmut ist tatsächlich eine Sünde, eine doppelte gegenüber jemandem, der für das Wohl des Hochmütigen sorgt.
Dazu eine kurze Anmerkung: Wer eine Zeitlang durch Indien reist, wird feststellen, dass gerade die hiesige Mittelklasse eine Art Despektierlichkeit vor jenen an den Tag legt, die nicht »mittel« sind, sondern eine oder zwei oder
Weitere Kostenlose Bücher