Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Kranken auslösen, ihn nicht überwältigen. Ihm also genug Kraft bleibt, sich damit auseinanderzusetzen.
So verstehe ich Vipassana. Man sieht hin und – sieht nicht weg. Weil das Training inzwischen die nötigen Ressourcen mobilisiert hat, um die Auseinandersetzung anzunehmen. Vipassana ist nicht zimperlich, es ist ein Kampfsport für Erwachsene.
Ich erinnere mich: Gelang mir das Sitzen (zu Hause) und ging ich nach einer Stunde Meditation wieder hinaus in die Welt, dann war ich »geordneter«, saß fester im Sattel, war unverletzbarer. Einen halben Tag lang gewiss. Ganz konkrete Zustände passierten. Befand ich mich im Ausland, so redete ich plötzlich die gelernten Fremdsprachen mit einer Leichtigkeit, an die man sonst, so heißt es, nur unter Alkoholeinfluss herankommt. Ich war »ungehemmt«, nicht blockiert von Versagensängsten. Längst im Unbewussten verschollene Wörter tauchten wieder auf. Ich war wieder ein Gesamtmensch, nicht zerstückelt, nicht aufgeteilt in Kopf, in Herz, in Bauch. Alles gehörte zu mir, alles war Ich und war einverstanden.
Und ich war »leichter«, trug mir weniger nach, haderte nicht, genoss diese wunderlichen Augenblicke, nicht aus der Welt gefallen zu sein, nicht jeden als meinen Gegner zu verdächtigen. Ich liebte noch immer nicht besinnungslos die Menschheit, aber ich war freizügiger mit meinem Lob, mit meinem Lächeln. Und sie auch. Swing kam auf zwischen den sechseinhalb Milliarden und mir, so eine coole Nonchalance. Das sind nicht »meine« Erfahrungen, die nur mir gehören, nein, es sind jene, die alle machen, die sich um ihr »Seelenheil« – hier auf Erden, hier allein – sorgen. Und die Konsequenzen ziehen. Vipassana wirkt wie ein Aufputschmittel für unsere trägen Herzen, wie ein Werkzeug, um den IQ der emotionalen Intelligenz zu stimulieren.
Schon überraschend, wie lange ich gebraucht habe, um einen Ort, einen Unterricht zu finden, der frei von diesem esoterischüberirdischen Stuss ist. Bei Goenka wird keiner kommandiert, keiner geschröpft, keiner mit Ritualen belästigt, keinem das Murmeln unverständlicher Texte auferlegt. Und keiner wird Zeuge peinlicher Vorkommnisse. Hier ein paar Rückblenden:
In einem irischen Meditationscamp prügelten sich einst die beiden Leiter. Es ging um die Frage, wer die Schönste im Raum vögeln darf. In Paris musste man zuerst einen Vorbereitungskurs absolvieren, um mit dem rechten Fuß (eben dem linken) den Ort betreten zu lernen. Während einer Woche Zen in einem österreichischen Benediktinerkloster saß ich mitten unter freudlosen Greisinnen, die das Kirchengestühl mit einem Meditationskissen verwechselt hatten. In Thailand musste ich wegen der Gefahr eines Hitzschlags die Blechhütte verlassen. (Oder war es das erhabene Gesülze eines Erhabenen, der von der Bühne herunter von der »heiligen Leere« schwafelte. Wo leben diese Dorfprediger? Unter Buddhas Feigenbaum? Wo auch immer, sicher nicht im 21. Jahrhundert.) In Boulder, hübsche Stadt in Colorado mit buddhistischer Universität, stand ein Teilnehmer gleich am ersten Tag des Retreats auf und rief entzückt: »Ich bin erleuchtet.« Und lief zu jedem und fragte: »Siehst du die Erleuchtung?« Da ich wusste, dass man Abgedrehte nicht provozieren darf, bejahte ich mit einem eindeutigen Kopfnicken. Später erfuhr ich, dass Fred – wir waren die beiden Deutschen hier – wieder als Trucker über europäische Autobahnen fuhr. Sicher seine letzte Chance, um am Leben irre zu werden.
Die Suche nach einem erweiterten Bewusstsein kann in die überspanntesten Zustände führen. In Poona stieg ich zum ersten Mal in einen Samadhi-Tank , so dramatisch nannte Bhagwan ein sarkophag-ähnliches Getüm, in dem sich eine körperwarme, zwanzigprozentige Salzwasserlösung befand. Man legte sich in den dunklen, schalldichten Sarg und schwebte. Ohne einen Finger zu rühren, nur auf dem Rücken liegen und loslassen. Als ich nach Stunden wieder heraustrat und zurück zum Ashram ging, schepperten meine Füße, als trügen sie Schneeketten. Nach der Grabesstille landete jedes Geräusch wie ein Hammerschlag auf meinen Trommelfellen, Vogelstimmen, Radfahrer, Kühe beim Fressen – ein Höllenlärm. Als mich Freunde umarmen wollten, wich ich erschrocken zurück. Bis in alle Nervenspitzen lag ich bloß. Jetzt war ich das Gegenteil von einem verhornten Seelenkrüppel, jetzt war ich nur ausgeliefert, schutzlos, ohne Schild.
Bert Brecht riet einmal, sich eine Elefantenhaut zu besorgen, die garantiere
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