Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
ausgedacht. Siehe Goenka, der glatt verkündet, dass jeder, der Hass und Verachtung verbreitet, von zähen Gewissensbissen verfolgt wird, ja die dunklen, die heimtückischen Gefühle auf ihn selbst zurückfallen. Das ist ein kühner Satz, der oft stimmt und oft überhaupt nicht. Vielleicht hilft wieder eine Notiz von Blaise Pascal, dem Mathematiker und Philosophen aus dem 17. Jahrhundert: »Niemals tut man so gut das Böse, als wenn man es mit gutem Gewissen tut.« Und flugs fallen einem die massenmordenden Kreuzfahrer ein, die mordgeilen KZ-Schinder, die totschlaglustigen Bolschewiken, die selig massakrierenden Horden um Friedensfürst Mohammed und die Schädel spaltenden Hutu in Ruanda: In der Rekordzeit von drei Monaten haben die frommen Kirchgänger 800 000 Tutsi – auch Ruander, auch fromme Kirchgänger – totgehackt. (Man sieht, Gläubigsein rettet weder davor, Mörder noch Ermordeter zu werden.)
Keine Rede, dass die christlichen oder nichtchristlichen Bestien nach dem Schlachten und Morden geknickt nach Hause trotteten. Oder ritten. Oder ins Flugzeug stiegen. Im Gegenteil, Lieder schmetternd, frohgesinnt nach so viel getaner Pflicht feierten sie ihre Untaten, waren unumstößlich davon überzeugt, Gutes, nein, Bestes für die Menschheit geleistet zu haben.
Noch eine Fußnote. Nach dem Tsunami sah ich ein Foto in einer indonesischen Zeitung, es zeigte die vollkommen zerstörten (Adobe-)Häuser eines Stadtviertels und mittendrin die unversehrte (Ziegel-)Moschee, Text darunter: »Allah’s hidden hand«. Bisweilen hat Idiotismus keinen Namen. Der Allgütige lässt zwar alles Hab und Gut seiner Schwärmerinnen und Schwärmer vernichten, trägt aber Sorge dafür, dass kraft seiner »versteckten Hand« sein Eigenheim wohlbehalten übrig bleibt. Gütiger und geheimnisvoller geht es nicht.
Bescheidener Rückschluss: Die Idee von einer »gerechten« Natur scheint mir eher waghalsig. Als ich in Mexiko City mit Hunderten anderen aus einer Schule rannte, weil die Erde und die Schule bebten (die einen kamen davon, andere nicht), und als ich an Thailands Westküste entlangfuhr und auf dem Strand die aufgedunsenen, völlig entstellten Wasserleichen liegen sah, war ich da Zeuge einer fürsorglichen Natur?
Nun, auch Vipassana wird das kosmische Getriebe nicht in ein Schlaraffenland verzaubern. Aber da, wo Meditation praktiziert wird, kommt mehr Swing ins Leben, verschwinden ein paar Hornhäute. Nein, sie ist keine Weltverbesserungs-Maschine, sie kann, im besten aller Fälle, dem Meditierenden mehr Freude, more singing in sein Herz bringen. Um für weniger Wahnsinn und Kümmernis verantwortlich zu sein. Und Freude infiziert. Immerhin jene in nächster Nähe.
Ein zweiter Rückschluss sei erlaubt. Siehe Goenkas Beteuerung, dass es den Racheengel immer auch selbst trifft, dass »Heimzahlen« stets Gewissensstürme und finsteres Schwanen im eigenen Busen auslöst. Was der Guru hier voraussagt, mag sein, passiert durchaus. Oft zu Recht, da Schuldgefühle daran erinnern, dass man sich in den Mitteln vergriffen hat.
Aber oft passiert es nicht, das Schwanen und Grauen im Busen. Denn jeder weiß: Einmal knallhart Bescheid stoßen, einmal jemandem eine (schmerzhafte) Lektion erteilen, einmal Unrecht mit Nachdruck vergelten, all das kann in einem erhebenden Gefühl enden. Gleich sieht der Tag vergnüglicher aus, gleich weiß man wieder, dass man sich dagegen gestemmt hat. Bisse im Gewissen? Von wegen. Nur Freudenschreie.
Nur so will ich Vipassana verstehen: Es soll niemanden zum fügsamen Haustier züchten, sondern unterscheiden helfen, wo Nachsicht und Verzeihen angebracht sind und wo Gegenwehr und ein Tritt ans Schienbein entschieden mehr zum Weltfrieden beitragen.
19 Uhr, day six discourse . Wieder könnte ich mich in Goenka verlieben. Mein Kopf widerspricht ihm und mein Herz taut. Immer. Die Ausstrahlung des Alten besteht aus Güte, Leichtigkeit und Humor. Ich traue jedem seiner Worte zu, dass es mit seinem Leben übereinstimmt. Aber der 85-Jährige ist eben Vipassana-Schwergewichts-Weltmeister. Möge es mancher hier bis in die Mittelklasse schaffen, ich bin nur Papiergewicht. Seine Stimme ist so sanft, dass ich bisweilen einnicke. Und beim Aufwachen nichts versäumt habe, denn Goenkaji (ein »ji« bedeutet immer eine Koseform) singt noch immer und schon wieder von den Wohltaten der uralten Technik. Wie alle, die etwas grandios beherrschen, hat er inzwischen vergessen, dass Anfänger sein (oder unbegabt) kein lustiges
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