Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Anteilen an Würde, Freude, Eros und Herausforderungen versorgt. Findet er ihn nicht, wird er zum Aas oder zum Fanatiker oder welkt zum klinisch-depressiven Mauerblümchen, schrumpelt zum bösen Alten. Ich mag mich täuschen, aber so viele sind es nicht, die da ankamen, wo sie einst hinwollten.
Nochmals zurück zu der armen Schönen, die von Sibirien nach Mumbai zog, um mit ein paar Fingerübungen eine reiche Schöne zu werden. Ach, wenn die Geschröpften nur wüssten, dass man Vipassana auch als Lügendetektor einsetzen kann. Auch das noch. Wer meditiert, bekommt ein klareres Gefühl für die Energie eines anderen. Nähert sich einer als Freund, als Freundlicher, als jemand, der mein Leben bereichert? Oder kommt einer, der mir die Haut abzieht, wieder ein Müllmann mit Müll im Angebot? Sitze ich gar vor einer Jewa, die schon gelogen hat, bevor sie den Mund aufmacht? Der Vipassana-Trainierte entdeckt die Lüge, weil er »da« ist, in genau jenem Augenblick, in dem ein anderer ihn zunebeln will. Er ist geistes anwesend , nicht geistes abwesend , nicht multitaskend, nicht träumend, nur gegenwärtig. Er sieht den Nebel und er sieht das Trugbild hinter dem Nebel. Und er kann eiskalt »nein« sagen.
Ich weiß, ich sitze in der Dhamma Hall , um zu meditieren. Und nicht, um über die glorreichen Seiten des Meditierens zu spekulieren. Aber bisweilen fehlt mir die Kraft zur harten, stringenten Konzentration auf den Atem, dann renne ich eben Gedanken hinterher. Doch ich bilde mir ein, dass ich das heute konsequenter beherrsche als früher. Ich denke nur einen Gedanken, einen Gedankenstrang. Nichts verführt mich zur Untreue, zu Dutzenden anderer, völlig zusammenhangloser Ideen. Ich werde zielgenauer, zielbewusster. Zuerst im Kopf, später – wenn ich das Gedachte in der Wirklichkeit anwende – im Leben. Ja, auch das gehört zu den Nebenwirkungen von Vipassana. Es vermehrt meine »quality time«, das ist jene Lebenszeit, die sich warm und innig in mir ausbreitet. Und es reduziert die Zahl der Stunden, in denen ich mit der Arschkarte unterwegs bin.
Der Drillbohrer, der Gedankenbohrer im Hirn hat aber auch einen Vorteil: Irgendwann versiegt die Wörterflut, das Denken hört auf, die Buchstaben ziehen sich zurück, es wird stiller im Kopf, leerer, jetzt übernimmt wieder die Meditation. Ich zähle den Atem, atme von Kopf bis Fuß, tue wieder nichts anderes, als das mühselige Geschäft desjenigen voranzutreiben, der verstanden hat, dass a) das Leben das Fantastischste ist, was wir besitzen, und dass b) die Droge Leben nicht aufhören darf zu wirken. Je zentrierter ich mich bündle, desto überschäumender kann ich mich hinterher verausgaben. Ein Extrem bedingt das andere. Vipassana ist ein Extremsport, der leiseste überhaupt, ganz unscheinbar.
Als ich in therapeutischer Behandlung war, schon als Jugendlicher, hörte ich einen Psychologen zu seinem Kollegen sagen: »Der hat seine Zukunft schon hinter sich.« Aus dem Zusammenhang des (belauschten) Gesprächs war zu erfahren, dass es sich um einen Patienten handelte, dem nicht mehr zu helfen war. Dass seine nächsten zwanzig oder dreißig Jahre nicht anders sein würden als seine Vergangenheit. Zu gefroren sei sein Herz, zu viele Niederlagen hätten es bereits niedergestreckt, als dass er es noch mit der Zukunft aufnehmen könnte. Als Siechling würde er den Rest absitzen, als einer, der jede Änderung als Fluch oder Segen interpretiert. Statt als Provokation, die seine Kreativität weckt. »Der hat seine Zukunft schon hinter sich«, so könnte auch ein Henker reden. Nie will ich den Satz hören, nie damit gemeint sein. Er klingt wie ein Todesurteil. Lebenslänglich tot sein, das ist ein harsches Schicksal.
Wie jeder Mensch will ich anderen von guten Erfahrungen erzählen. Um ihnen zu helfen. Ungekehrt natürlich genauso. Ich höre etwas und übernehme es, bin dankbar für den Rat. Und wie jeder kenne ich Frauen und Männer, denen nicht zu helfen ist. Die das Ende ihrer Geschichte schon erreicht haben. Wie obiger Patient.
Doch das Los eines Fremden bleibt mir fremd. Bewegend wird die Geschichte, wenn es sich um einen Freund handelt. Und ich habe einen, den ich wie eine wandelnde Zeitbombe wahrnehme, die nur noch den rechten Ort und die passende Zeit abwartet, um zu explodieren. Vor Hass, vor Zorn, vor dem Gefühl, nicht teilnehmen zu dürfen am Leben, an den »Erscheinungen der Welt« (Goethe). Und Goethe wusste (und dieser Freund weiß), dass zu den atemberaubendsten
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