Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Schicksal ist.
Doch irgendwann äußert er einen Gedanken, für den man aufstehen und »Bravo« rufen will. Weil er letzte Zweifel beseitigt: »Vipassana praktizieren bedeutet nicht, dass aus dir ein willenloses Gemüse wird, dass du das Unrecht anderer an dir erträgst. Aber du sollst nicht reagieren, du sollst agieren«, soll sagen: sich so im Alltag verhalten, dass es zu einer demütigenden Situation gar nicht kommt. Da Achtsamkeit eine Umgebung schafft, die Würdelosigkeit nicht zulässt. Und wenn doch, dann soll einer nicht blindlings ausholen, sondern Contenance bewahren und eine Lösung finden, die kreativ ist. Für beide, für alle Beteiligten.
Auch das ist hochkarätig anspruchsvoll, aber Vipassana erhöht tatsächlich das Charisma, die Selbstsicherheit. Ich habe immer fasziniert auf Männer und Frauen geblickt, die das beherrschten, was zu den Grundideen des Buddhismus gehört: Gedanke – Wort – Handlung . Eins nach dem anderen, ohne Bruch, stimmig.
Wieder entlässt uns Goenka mit »May all beings be happy«, wie ein schuldloses Kind wünscht er uns Glück. Mit der Taschenlampe in der Hand findet jeder zurück in seine Zelle.
Kerzen brennen, ich lese, ich schreibe. So lange, bis mir wieder die Zeile des indischen, so brillanten Schriftstellers Pico Iyer einfällt, die ich vor Wochen entdeckt habe. Poetisch drückt sie aus, was in einem vorgeht, der loszieht in die Welt, selbst wenn es die innere Welt ist: »Was mich wirklich zum Reisen drängt, ist die Aussicht, all das zu verlassen, was ich kenne, und all das zu betreten, was ich nicht kenne. Und möglicherweise niemals verstehen werde.«
SIEBTER TAG
Morgens liegt Tau auf meinen Schuhen. Das erfrischt die nackten Füße. Mir ist jedes Mittel recht, das die Illusion verschafft, weitere zehn Stunden Meditation auszuhalten
Um 4.29 Uhr sitze ich in der Dhamma Hall . Und um 4.30 Uhr bin ich an der Ostküste des Subkontinents gelandet: Auf der Reise durch Indien las ich einen Bericht über eine »beautiful Russian«, die sich in einem Nobelviertel von Mumbai ein »Mudras-Consulting« eingerichtet hatte. Mudras sind »mystische Handgesten« aus Tibet, mit deren Hilfe wir, so lässt die schöne Russin wissen, in Kürze alle unsere Neurosen wegfingern können. Wie noch zu erfahren ist, geben sich die Allerschönsten und Allerreichsten bereits ihre Türklinke in die Hand. Ich bin sofort auf Seiten von »Jewa« (sicher ihr Künstlername), die wahrscheinlich aus einem sibirischen Dorf stammt und Olga Josepha heißt und sich eine einzige Finte ausgedacht hat, um die Allerdümmsten und Allertumbsten um die Finger zu wickeln: durch »mystical mudras« und gegen enormes Entgelt. Die (indische) Reporterin des »Portraits einer erfolgreichen Frau« in der Zeitung ließ sich auch wickeln. Nach einer halben Stunde, so schreibt sie, verließ sie »erschöpft« das Penthouse der Wunderheilerin. Um nach einer weiteren halben Stunde »completely reenergized« wiedergeboren zu werden: »Ich hätte Bäume ausreißen können!« So der letzte Satz des Artikels.
Was für eine wohltuende Lügengeschichte, in der wir erfahren, dass wir nur ein Ex-Model besuchen und mit ihr ein paar Mudras üben zu brauchen, um wieder energiegeladen antreten zu können. Zum Bäume ausreißen. (Welch passende Metapher für heutige Zeiten.) Die Nachricht, dass wir mehr als dreißig Minuten einmal pro Leben hergeben müssten, um uns davon zu überzeugen, in Zukunft weniger Bäume auszureißen, eine solche Nachricht kommt anscheinend nicht an.
Nein, lieber ein (spiritueller) Quickie mit Jewa. Das Vergnügliche daran: So abstrus sich die Angebote zur Heilung unserer neurosen-traktierten Seelen anhören, so hanebüchen frech die Tricks der Bauernfänger auch klingen mögen, das Heer der zerebral Zukurzgekommenen drängelt ein weiteres Mal.
Ach, wie gut wir es in der Dhamma Hall haben. Jeder von uns weiß immerhin, dass einmal Kaffeeklatsch mit Mudras büffeln oder Pendel schwingen oder Hare Krishna frohlocken oder das karmische Horoskop deuten nicht reicht, für nichts reicht. Wir haben immerhin begriffen, dass ganz andere Investitionen gefragt sind, um das Rad der dösigen Gewohnheiten, der endlosen Sackgassen zu stoppen. Um es anschließend in eine Richtung zu schwingen, die mehr Begeisterung in Aussicht stellt, mehr dem entspricht, was man als Halbwüchsiger für seine Zukunft fantasierte. Jeder, der geboren wird, will, nein, muss seinen Platz in dieser Welt finden, der ihn mit genügend
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