Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Erscheinungen auf Erden die Frauen zählen.
Vor sieben Jahren wurde Manfred B. von seiner Lebensgefährtin verlassen. Das tut weh. Wegen eines anderen. Das geht noch tiefer. Aber solche Wunden heilen, wenn wieder eine Frau auftritt und sich nach der Nähe des Verlassenen sehnt. Aber – und hier liegt die Mutter aller Schmerzen von M. B. – diese Frau gibt es nicht. Auch nach sieben mal 365 Nächten kommt keine zu ihm, um ihn zu umarmen und von ihm umarmt zu werden. 2555 tote Nächte, ohne die Haut und den Atem eines Menschen, der ihn begehrt und der von ihm begehrt werden möchte.
Immer wenn ich ihn sehe, wird mir bewusst, welch seelische Flurschäden Einsamkeit anrichten kann. Wie sie einen auffrisst. Und wie sie sich wandelt. Und wie sie irgendwann zum Hass auf die Welt wird.
Warum ich den Mann erwähne? Weil ich plötzlich an ihn denke. Nachdem ich kreuzbrav eine knappe Stunde die Wehleidigkeiten meines Körpers ausgehalten habe, keinen Millimeter verrückt, keinem Gedanken nachgelaufen bin. Die Erinnerung an ihn war unvermeidlich. Wie eine persönliche Niederlage trage ich den Freund mit mir herum. Dennoch muss ich jetzt grinsen. Denn während der sieben Jahre wurde ich sicher Europas fleißigster Damen-Beschaffungs-Berater. Wie viele Strategien habe ich entworfen, um ihn, diesen elend Schüchternen, in die Nähe jener Menschenrasse zu bringen, die ihn wie keine andere Tag und Nacht beschäftigt. Sprachkurse, einschlägige Cafés, Internetforen, Reiseziele, Kontaktadressen listete ich auf, stets mit der Prämisse im Kopf: Dort wimmelt es von Frauen! Ich nahm ihn mit, zu Freunden, zu Lesungen, zum Tanzen, zum Essen und Trinken, stellte ihn vor, probte mit ihm (mögliche) Begegnungen, korrigierte für ihn die Texte (möglicher) Liebesnachrichten, übte (mögliche) Telefongespräche, kontaktierte ihn aus allen Erdteilen, ließ ihn keine drei Wochen aus den Augen. Ja, empfahl ihm Puffs, auch in Paris bei mir, wo es anonymer für ihn sei, war bereit, ihn zu eskortieren, bot an, ihm zum Geburtstag (oder an jedem anderen Tag) eine Hingebungsvolle ins Haus zu schicken: war ich doch unverdrossen davon überzeugt, dass selbst eine gekaufte Frauenhaut noch um tausend Wonnen besser duftet als das feinste (leere) Seiden-Leintuch. Aber nicht einmal dafür reichte sein Mut.
Und dann geschah das Wunder. Nein, nein, keine Himmlische tauchte am Horizont seines Männerlebens auf. Nein, das Wunder war der Moment, in dem er mich fragte, wie das mit dem Meditieren sei. Wo man das macht? Wie? Es interessiere ihn. Endlich. Selbstverständlich hatte ich ihm wieder und wieder davon gepredigt. Ohne dass nur ein Wimpernschlag Neugier zurückkam. Ja, hatte ihm erzählt, dass ich einst eine Woche lang gefastet und meditiert hatte. Nur Tee und Wasser und schlafen und »sitzen«. Um radikal »einsichtig« zu werden. Weil ich meinen Beruf aufgegeben hatte und einen neuen suchte. Nichts weniger.
Wie ein Pawlowscher Hund sprang ich herbei, freute ich mich über seine Nachfrage, fing sofort wieder zu predigen an, verwies auf Bücher, auf Adressen, versprach persönliche Unterweisung beim nächsten Besuch, erwähnte zuletzt, dass er sein Duplex nicht einreißen und neue Wände hochziehen müsse, dass nichts anderes gebraucht würde als ein hartes Kissen. Möglicherweise zwei. Selbst dafür wusste ich einen Internet-Shop. Er müsse nur aussuchen, bestellen, drei Tage warten und – anfangen.
Es kam zu keinem Mausklick. Nicht einmal dazu. Ich hatte uns beide überschätzt. Denn Manfred B. – ein witziger, großzügiger Mensch, mit Ironie und Klugheit begabt – war schon längst das geworden, was die Japaner einen »Hikimori« nennen. Einer, der aus Angst vor den täglichen Anforderungen nicht mehr das Haus verlässt, ja ein Super-Hikimori, der auch niemanden mehr in sein Haus lässt. Nur die Glotze darf da sein, darf leuchten, ihn trösten, sprich, ihn bei lebendigem Leib am Leben hindern. Denn nie und nimmer wird eine der Begehrten den Bildschirm verlassen und die Bettdecke von Manfred B. aufschlagen. Um darunter seine Lippen zu küssen. Ich habe natürlich keine Ahnung, ob das Training von Vipassana dem Verzweifelten bei der Erfüllung seines Traums geholfen hätte. Immerhin haben die Meditationstechnik und Frauen eines gemeinsam: »Erfolg« ist nicht sicher, sicher ist nur: Einer muss losgehen, muss etwas wagen.
Wenn ein Mensch absäuft, beginnt er, über Auswege nachzudenken. Bei vielen bleibt es beim Denken. Sie haben noch nicht genug
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