Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
gelitten, um die Kräfte zu mobilisieren, die es braucht, um dem Sumpf zu entkommen. Oder sie leiden bereits entsetzlich und sind trotzdem noch immer zu unentschlossen, um die Schussfahrt zu bremsen. Das immer unergründliche Menschenherz.
Als ich nach der Mittagspause wieder in der Dhamma Hall sitze, fällt mir zum ersten Mal auf, dass hier keine Greisenveranstaltung stattfindet, keine letzten Exerzitien für Leute, die noch drei Wochenenden zu leben haben und noch schnell mit sich »ins Reine« kommen wollen. Die Mehrheit hier besteht aus Erwachsenen zwischen dreißig und fünfzig. Und ganz Junge gibt es auch, Studenten vermutlich. Wie ich ihr Bedürfnis nach Halt verstehe, nach etwas, das sie mit Energie ausrüstet. Und mit Werten und Zielen, anderen als den handelsüblichen. Um standzuhalten in einer sich rasend verändernden Welt.
Ob sie jedoch wissen, dass auch Vipassana nur geben kann, was einer schon hat? Es darf verschüttet sein, verwittert, verschollen, aber irgendwo muss es in ihm verborgen sein. Nie wird einer etwas finden, auch nicht mit Hilfe von hunderttausend Stunden Vipassana, das nicht in ihm ist. Die Technik der Meditation könnte man mit jenen handlichen Metallsonden vergleichen, mit der die Penner im Central Park von New York nach Gold suchen. Die Geräte piepen nur, wenn sie fündig werden.
Nicht anders hier. Aus einem Herz aus Stein wird kein warmer Muskel, nur weil einer mit gekreuzten Beinen auf dem Boden verharrt und seine Nasenspitze beobachtet. Irgendwo in dem kalten Geröll muss der Rest einer Sehnsucht nach einer anderen Form von Existenz versteckt sein. Diesen Restposten, hat einer Glück, entdeckt er beim Meditieren. Und erweckt ihn zum Leben.
Tapfer wie ein Zehnkämpfer absolviere ich mein Programm, bin der vorbildliche Vipassana-Schüler, sammle meine Achtsamkeit, verscheuche (im Kopf) jede Zerstreuung. Bin Athlet, trotz eines lästigen Stechens in der Nierengegend. Um mittendrin, vielleicht nach einer halben Stunde konsequenter Routine, schlagartig fahrig zu werden, fiebrig. Bin zu keinen fünf konzentrierten Atemzügen mehr fähig. Doch nicht aus Erschöpfung, im Gegenteil.
Jetzt habe ich das Sitzen satt, das Gefangensein, will aufspringen und rennen, losrennen, handeln, tun, reagieren, will die Berge von Arbeit abtragen, die auf mich warten, will an einem riesigen Tisch sitzen und auf meinen Mac hämmern, will mein von Gedanken und Blitzen verstopftes Hirn befreien, will jetzt die Wildsau sein, die aus dem Gatter wetzen muss. Aber ich bleibe, muss bleiben. Und werde dafür belohnt, fürs Standhalten. Ein Kraftfeld wandert durch meinen Leib, das – trotz der freiwilligen Haft hier in der Dhamma Hall –eine Welle unbekümmerten Überdrehtseins lostritt.
Ich unternehme nicht den geringsten Versuch, das Beben zu stoppen. Ich will es abspeichern, um mich in mageren Zeiten daran zu erinnern. An diese Wucht, diese Ekstase mühselig gezügelter Vehemenz. Mein Körper sprudelt, der Reservetank ist noch lange nicht an. Ich begreife, dass Power in mir steckt, aber weiß zugleich, dass ich noch immer nicht verstanden habe, wie ich über sie – kontinuierlich – verfüge. Zu sporadisch fließt sie. Oft ist Stromausfall, no power. Oder »little power«. (So redete mein letzter Hotelbesitzer, als er Kerzen an die Gäste verteilte.)
Ich schiele auf die anderen in der Dhamma Hall . Klar, sie zeigen die Antwort: sitzen, fokussieren, bereit sein, den Preis zu zahlen. Mit Beständigkeit, mit Regelmäßigkeit, mit dem unbedingten Willen, jeden Tag zum Zweikampf anzutreten. Mit sich und dem Schweinehund Trägheit.
Wie kriegerisch das klingt. Dabei handelt es sich um Meditation, um still sein, um unauffällig sein. Um nichts, immer um nichts anderes, als die sagenhafte Kunst zu üben, keinen Augenblick seines Lebens zu vergeuden.
Für den Rest des Nachmittags fallen mir Geschichten ein. Zu heftig sausen die Neuronen durch meinen Kopf, als dass genug Ruhe zurückkäme für das dornenreiche Scannen, das »Hineinatmen« in die verschiedensten Körperteile, an der Schädeldecke beginnend, an den Zehen endend. Als Endlosschleife.
Vielleicht hat das Unbewusste die zwei Worte »no power« markiert, denn meine Zeit in einem indischen Dorf taucht vor mir auf. Dort gab es nie Elektrizität, sagen wir: nachdem der Transformator ins Reisfeld gefallen war. Ich war als Reporter unterwegs, um über die »Unberührbaren« zu recherchieren. In Nighwan, irgendwo im Bundesstaat Bihar, einem Dorf wie die 550
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