Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Großstadt-Praxis. Und irgendwann, vier Jahre später, meldete ich mich, erinnerte an unseren Deal. Vergeblich. Keine Antwort, kein Rückruf, kein Fax, keine Mail, nichts. Ich forschte nach und fand heraus, dass B. V. inzwischen zum Alkoholiker mutiert war, zuletzt nur noch voll gelaufen zur Arbeit ging, ganz zuletzt gleich blau im Sprechzimmer liegen blieb. Alles war in Promille ersoffen, der Mann, die Arbeit, die Ehe.
Vor Gericht verlor jeder. Die Banker, die anderen Freunde, die Frau, ich. Das Wrack Bernhard V. erkannte jede Schuld an und beantragte ein Insolvenzverfahren. Stattgegeben. Damit war die Sache erledigt. Mein (von mir bezahlter) Anwalt zeigte mir noch die Gläubiger-Liste, ich stand mit 11.173,96 Euro netto an letzter Stelle, ich Glückspilz.
Das Überraschendste an dem Fall war, dass ich damals keinen Groll empfand. Zumindest keinen dramatischen. Auch jetzt nicht. Goenka sprach einmal davon, dass Geduld und Vergebung leichter fallen, wenn die Tat, die Untat, aus einem Motiv heraus geschieht, das frei von Niedertracht ist. Er bestätigt damit nur, was wir alle wissen. Bernhard V. flüsterte nie »Ich liebe dich« in mein Ohr, erfand nie hinterfotzige Geschichten, denunzierte mich nie vor Gericht als einen Gewaltlüsternen. Mein Herz reagierte also »logisch«, es brandete nicht, tobte nicht. B. V. war nur ein Loser, ein Schwächling, überfordert von den Ansprüchen des Lebens. Das schon. Aber er war kein Schwein.
Ich sitze in der Dhamma Hall und keinen Schlag schneller geht mein Herz. Ja, ich wachse über mich hinaus und denke mit einem nachsichtigen Grinsen an die vermüllte Schnapsdrossel, den Ex-Doktor und Abgewirtschafteten. Zur reinen Liebe ihm gegenüber schaffe ich es immer noch nicht, aber ich würde mir wünschen, jemand erzählte ihm von Vipassana. Ich habe keine Ahnung, ob es die Lehre von Konzentration und Disziplin mit Säufern aufnimmt. Aber einen Versuch ist es wert, denn viel windiger kann B. V.s Existenz nicht werden.
Noch ein heiterer Nachsatz. Der heute Bankrotte war immer als Gutmensch unterwegs. Er konnte sich stundenlang über die Unmoral der Welt auslassen. Und über die eigene Anständigkeit. Täglich überkam ihm mehrmals »ein Gefühl von Wut und Trauer«, wenn er etwas über die Haltlosigkeit der Menschheit erfuhr. (Und da gab es einiges zu hören.) Jetzt, in der Dhamma Hall , muss ich lachen, kann es nicht mehr unterdrücken, ja: Ich genieße die Schadenfreude. Ich bin eben ein Schlechtmensch. Denn ich schaue mit Wohlwollen hin, wenn die »Anständigen« bauchlanden. Jene, die Anstand mit der Maskerade des Anstands verwechseln.
Frühstückspause, Nichtdenken und Denken machen hungrig. Heute brennt im Garten ein offenes Feuer unter einem Riesentopf, wie in einem afrikanischen Kraal. Hier kann sich jeder einen Eimer warmes Wasser holen. Zum Duschen, zum Waschen. Das Bild macht Freude, es ist archaisch einfach.
Beim Spaziergang fällt mir ein Zeitungsartikel ein, der von Verhaltensforschern berichtete, die herausfanden, wie Leute das Alter eines Fremden – im Verkehr, auf der Straße – schätzen. Erstaunlicherweise war es nicht sogleich der forschende Blick ins Gesicht, auf die Haut, nein, es war die Art, wie einer sich bewegte. Beschwingt, schlurfend, ausladend, vertippelt, behände, stur. Wie auch immer.
Das mache ich jetzt auch und denke mir bei jedem eine Zahl. Wäre das Leben jetzt nicht wunderbar, wenn ich sie alle unter diesem Vorwand ausfragen dürfte? Endlich. Nicht nach so faden Dingen wie ihrem Geburtsdatum, nein, nach ihrem Lieblingsmenschen würde ich forschen, nach ihren letzten zehn Gedanken, nach dem Traum, der nicht in Erfüllung ging. Und nach den Sehnsüchten, die noch werden sollen.
Während der Vormittagsstunden kommt es zu einem Zwischenfall. Mitten in der Meditation steigt Guruji, Mister Singh, von seinem kleinen Podest. Und fällt um. Wie ich später erfahre, plagte den 80-Jährigen ein Schwächeanfall. Da ich sofort die Augen öffne, sehe ich, wie die zwei Helfer, die gerade noch versunken wie zwei Ölgötzen meditierten, hochspringen und auf ihn zulaufen. Kein Reiben der Knie, kein Ächzen, kein Humpeln auf den ersten Metern, nein, aus dem Lotussitz in den Sprint. Ein formidables Bild von Achtsamkeit, von der Kunst, im Augenblick zu sein.
Sekunden darauf blitzt die Erinnerung an ein Interview mit John Travolta auf, das er nach dem Tod seines Sohnes Jeff gab und in dem er sich bei allen bedankte, die seiner Familie ihr Mitgefühl
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