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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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ausgedrückt hatten. Der Schauspieler sagte, diese Anteilnahme sei ein Hinweis auf die »inherent goodness of man«, auf die dem Menschen innewohnende Güte. Das ist ein steiler Satz, zu dessen Beweis man Millionen Beispiele vorlegen könnte. Und Millionen, in dem alles bewiesen wird, nur keine goodness .
    Während ich mitverfolge, wie die beiden dem Alten auf die Beine helfen und ihn aus der Dhamma Hall zu dem nahegelegenen Häuschen führen, in dem er wohnt, rinnen mir die Tränen über das Gesicht. Ich bin eine unverbesserliche Heulsuse, ich hätte gern einen Inkontinenzbeutel für meine Augen. Um heimlich loslassen zu können. Oft ist mir die Duselei nur peinlich. Aber die einfachsten Gesten der Hilfsbereitschaft bringen mich aus der Fassung. Ich habe bis heute nicht verstanden, warum. Heule ich, weil es dem Guruji schlecht geht, oder heule ich, weil andere sich rühren lassen von fremdem Leid? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass Vipassana die Bereitschaft zu fühlen erhöht. Das weiß ich.
    Und weil die Ruh’ dahin ist, drängt sich noch eine Frage herein. Die gewichtigste zum Thema Buddhismus, jene, die jeden »Unerleuchteten« in den Wahnsinn treibt: Wie kann einer Mitgefühl empfinden, wenn er kein Ich hat? Wie würde jemand, dem alle Ichbezogenheit fremd ist, hier reagieren? Wie soll er den anderen spüren, wenn jede Identität, alles Seine, ihn verlassen hat? Ja, angeblich noch inniger spüren als vorher, als er noch sein Ich mit sich herumschleppte? Aller Identifikation beraubt, kann doch einer nur »gleich-gültig« bleiben. Vor jedem Elend, vor jeder Freude. Hat nicht schon Dante die »Lauen« in den siebten Kreis der Hölle verbannt? Fürs Lausein, für ihre Weigerung zu leben, zu spüren, Partei zu ergreifen?
    Die Assoziationsketten hören nicht auf. Auch das hat Meditieren mit dem Vorgang des Schreibens gemeinsam: Ein Gedanke führt zum nächsten. Zu einem, der mir Augenblicke zuvor noch nicht bewusst war. Konkret: Die zwei aufspringenden Helfer und das Phänomen des Ichs, das der Buddhismus verschwinden machen will, sie katapultieren mich in eine Szene, die ich jetzt eher mit Scheu veröffentliche. Weil ich mit dem Vorwurf rechnen muss, ein Protz zu sein. Der Leser sei mit dem Hinweis beruhigt, dass ich das Soll an Feigheiten in meinem Leben bereits erfüllt habe, ich aber jetzt von einem Moment erzählen will, in dem ich nicht feig war. Und weil er, das ist entscheidend, fugenlos zu dem bisher Geschriebenen passt.
    Tatort Paris, ein Café in der Nähe meiner Wohnung, abends gegen halb elf. Ich habe meinen Mac dabei und schreibe. Leute reden und lachen, ein Radio dudelt, alles normal und wie immer. Plötzlich hitzige Rufe, an der Theke schlagen der Kaffeehaus-Patron und ein Angestellter auf einen Mann ein, packen ihn links und rechts und stürmen mit dem Betrunkenen auf den fünf Meter entfernten Ausgang zu, schleudern, ja, schleudern ihn auf das Trottoir, kicken noch mit den Füßen nach, bis ihr Opfer über die Bordsteinkante rollt und dort liegen bleibt. Dann lassen sie ab und kehren zurück.
    Ein Bild von ausgesuchter Brutalität. Wie die meisten hier habe ich keine Ahnung, wie es zu dem Zwischenfall kam. Alles ging blitzschnell, ohne Vorspann, ohne Entwicklung, nur Schreie, Prügel, Rauswurf, Nachtreten, der gesamte Auftritt in weniger als zehn, fünfzehn Sekunden. Ich stehe sofort auf, lasse alles zurück, auch den Computer, gehe auf den vielleicht 40-Jährigen zu, beuge mich über ihn, frage ihn, ob er aufstehen kann, er nickt, ich fasse ihn unter den Achseln und ziehe ihn hoch. Inzwischen hat sich ein Kreis von Schaulustigen gebildet. Sie schauen und sind lustig. Der Mann ist korpulent, alkoholisiert und benommen. Das Manöver des Hochhievens dauert. Und kaum steht der Dicke wieder gerade, beginnt der zweite Teil der Fehde. Der Mensch bedankt sich noch bei mir, sagt »regarde« und zieht ein Messer aus seiner rechten Jackentasche. Und stürmt zurück Richtung Café. Sicher nicht, um einen Pastis mit Erdnüssen zu bestellen, sondern um seinen Rachefeldzug anzutreten. Der mit gezückter Klinge an der Schwingtür endet, blitzschnell von seinen beiden Kontrahenten – hinter dem Glas – blockiert. Er endet endgültig, als der Kopf des Entschlossenen so heftig gegen die Scheibe knallt, dass der schwere Krieger ohnmächtig zu Boden sinkt. Minuten später fahren die Polizei und ein Krankenwagen vor.
    Ich gehe zu meinem Platz, mein Mac ist noch immer da. Erst jetzt holt mich der Schreck über

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