Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
meinen Leichtsinn ein. Unbewacht ein solches Gerät zurücklassen ist wie 1000 Euro Cash neben der Kaffeetasse vergessen. Es wäre nicht mein erster Rechner, den einer illegal davontrug. Aber meine Freude meldet sich viel inniger, eine kleine Glückswelle durchströmt mich. Kein kleinbürgerliches Hadern hielt mich zurück, ich war nur Zen, nur Augenblick, nur Gedanke (Unrecht!), Wort (Tu was!), Aktion (Losgehen!). Ich war wie die beiden Helfer, die Momente zuvor nichts anderes taten als zu handeln. Ich wage es kaum hinzuschreiben, aber an diesem Tag in Paris hatte ich, so steht es in meinem Tagebuch, meditiert. Vorher.
Mittagspause, an den Mauern entlanggehen, die uns vor Indien schützen. Hier drin ist niemand arm, die Blumen blühen, kein Abfall verdreckt, keine Überbevölkerung wuchert, kein Verkehrschaos droht, alle beißenden Zumutungen fehlen. Man muss sich nicht wehren. Wie schön es hier ist. Und später, ich weiß es schon jetzt, werde ich noch intensiver begreifen, wie schön es hier war.
Manche von uns sitzen nun wie Gartenzwerge entlang des Wegs. In Denkerpose, in Kaputt-Pose, in Ergebenheits-Pose. Die Tage zehren. Gestern habe ich zum ersten Mal bemerkt, dass manche weder in der Zelle noch in der Dhamma Hall meditieren, sondern sich ein diskretes Plätzchen im Garten suchen und dort ihr Kissen hinlegen. Die Idee ist gut. Sich seine Freiräume genehmigen scheint ein positives Zeichen. Regeln überlisten auch. Vipassana lässt sich überall praktizieren, auch in der Sonne, auch im Schatten, überall da, wo einer bereit ist, sich und seinen Schmerz auszuhalten.
Inzwischen habe ich meinen neuen Helden entdeckt. Den Japaner. Er muss der Schmerzlose sein. Den zehrt nichts. Er verzichtet sogar auf die Pausen, wie in den Boden gemeißelt bleibt er sitzen. Länger als alle anderen. Ein Monument. Jedes Mal, wenn ich meine Gliedmaßen in andere Richtungen auslagere, blinzle ich in seine Richtung, links hinter mir. Und der Fujiyama sitzt da, wo er schon immer saß. Unverrückt, majestätisch wie ein Weltwunder. Welche Kraft lodert in dem Kerl. Schon ihn anschauen macht Mut. Oder lässt zweifeln, verzweifeln.
Um 13 Uhr wieder in der Dhamma Hall sitzen, mit Genugtuung feststellen, dass unser Guruji zurück ist. Und drei Minuten nach der Freude verfalle ich in einen Zustand, für den ein amerikanischer Psychologe vor fünfunddreißig Jahren einen genialen Namen fand: The flow , eine von Glückshormonen überbordende seelisch-körperliche Befindlichkeit. Der gebürtige Ungar mit dem grausam eckigen Namen Mihaly Csikszentmihalyi (sprich: Tschik-sent-mihaji) hat ganze Bücher darüber geschrieben. Wen dieses Glück bei einer Tätigkeit packt – sei der Mensch nun Tischler, Dichterin, Bergsteiger, Revolutionärin, Hebamme oder Vipassana-Schüler –, wird sofort wissen, dass es berauschender auf Erden nicht werden kann. Denn der Mensch hat das erreicht, was die alten Inder ein paar Tausend Jahre vor dem Universitäts-Professor eben »onepointedness« nannten, jene Einpunkt-Konzentration , dieses hemmungslose Fließen, diese schöpferische Leidenschaft, diese tausendprozentige Fokussierung der Aufmerksamkeit. Dieser Rausch hat nie mit »Erfolg« zu tun, mit Ruhm, mit Ansehen, mit tosendem Applaus. Alles geschieht im Inneren desjenigen, den dieser Taumel erwischt.
Nach siebeneinhalb Tagen, in dieser Stunde, zieht es mich in die Tiefe. Ich bin nur einverstanden, nur da, nur Hingabe, nur einer im Gleichklang von Leib und Seele. »Atmung, Herzschlag und Blutdruck sind optimal synchronisiert«, schrieb Csikszentmihalyi, »Harmonie herrscht zwischen dem limbischen System, das die Emotionen steuert, und dem kortikalen System, zuständig für Bewusstsein und Verstand.«
Es ist kein rasendes Glück, eher eine beispiellose Zufriedenheit in mir. Keiner mault, keiner kritisiert, nicht die kleinste (innere) Stimme nörgelt. Weil die Achtsamkeit so ausschließlich ist, dass kein Platz für Gegenstimmen bleibt. Ich meditiere, ich bin Meditation. Kein Widerhaken reißt an mir, nicht am Körper, nicht am Herz, nirgends im Kopf.
Wenn ich es jetzt noch schaffe, diesen Gral der Unbedingtheit mit Hilfe von Vipassana immer wieder in mein Leben jenseits des Kissens zu retten – da, wo ich schreibe, liebe, reise und mit dem vulgären Joch des Alltags konfrontiert bin –, dann fließe ich, dann habe ich die Hälfte meiner Lebensmiete schon bezahlt.
Natürlich gelingt das jedem Interessierten leichter, wenn er mit sinnlichen
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