Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
nicht im Augenblick lebe, nicht zuhöre, weil ich eben nur rede und nicht tue, was ich rede, dem rufe ich hoch und heilig zu: »Könnte doch schlimmer sein!« Und die meisten stutzen dann, lächeln anschließend und geben mir recht. Vipassana ist keine Heldenschmiede, aber es schmiedet Werkzeuge, die das Leben »frisieren«, seine Spannweite tunen, sie ausdehnen. Damit einer abhebt und sich traut.
Irgendwann ist es wüstenstill in der Dhamma Hall . Leise wie Luft. Und irgendwo auf der Erde wird ein Kind Mund-zu-Mundbeatmet, fliegen Schwalben in den Süden, warten Millionen in den Highway-Staus, eröffnet ein Wohltäter ein Hospiz in Lesotho, lieben sich Männer und Frauen in Hotelzimmern, hassen sich Männer und Frauen in Hotelzimmern, sterben die einen an Hunger und sterben die anderen an Übergewicht, spaziert eine Schulklasse durch einen Bach in Tirol, werden in dieser Minute 35 Chinesen geboren, wollen Tausende nicht mehr leben, ringen Tausende um ihr Leben, gewinnen Wenige im Lotto und verlieren Hunderttausende alles, schleckt ein afghanischer Hund seine Ekzeme, schreibt ein Afrikaner einen Thriller und bindet sich ein Selbstmordattentäter den Dynamitgürtel um die Hüften. Und sitzen achtzehn Männer und fünf Frauen in einem halbdunklen Raum und meditieren. Lautlos wie ein Gedanke. Weite, unfassbare Welt.
19 Uhr, day eight discourse . Zuerst hebt Goenka wieder zur Bergpredigt an, wiederholt mit der Geduld eines Unerschöpflichen, dass das Training von Vipassana die innere »Balance« schaffen soll. Keine Gier, keine Wut und keine Sehnsucht sollen uns davontragen, in keine Richtung soll das Herz ausschlagen.
Das fängt mich auch heute nicht ein. Ich bin kein Unerschöpflicher, bin auch am achten Tag nur Mensch, nur weißer Mann, nur einer, der nicht gut werden kann, nur besser. Wenn ich Glück habe und meine letzten Reserven mobilisiere. So wie ich »Gebrauchslyrik« lese, die ich im konkreten Leben gebrauchen kann, so will ich Reden hören, die mich nicht niederschmettern mit ihren Ansprüchen, sondern alltagstauglich machen.
Aber dann kommt ein Satz, der wieder nach Wirklichkeit klingt: »Manchmal ist es notwendig, entschieden zu handeln«, so Goenka, »denn man hat das Problem erklärt, beharrlich, höflich, mit einem Lächeln. Doch der andere reagiert nicht.« Und der Friedsame wächst über sich hinaus, fügt tatsächlich an: »So wird klar, dass der andere nur harte Worte, nur hartes Handeln versteht. Deshalb ist hartes verbales und physisches Vorgehen notwendig.« Natürlich geht es nicht in erster Linie um verbale und körperliche Gewalt, sondern um eindeutige Zurechtweisung, um eindeutige Maßnahmen. Und Goenka besteht darauf, dass man nicht aus Rache reagiert, nicht, um jemanden zu zerstören, sondern aus Gegenwehr, aus Notwehr.
Ich mag solche Aussagen, denn der »Du-bist-Liebe-Ich-bin-Liebe«-Gargel ist nicht auszuhalten. Dieser Wortschwall aus dem Operetten-Vokabular des Gutmenschen, der sich – konfliktfeig – weigert, einen Blick auf die Realität zu riskieren. Ich mag die Sanften, die bei Gelegenheit die Sanft-Mut abstreifen und Mut an den Tag legen. Gandhi berichtete von einer Szene, in der ein Junge die Straße entlangging und weinte. Ein Erwachsener kam vorbei und fragte, was passiert sei. Und der Kleine erzählte, dass er von einem Klassenkameraden eine Backpfeife bekommen habe. Worauf der Mann wissen wollte, ob er sich verteidigt habe. Als der Junge verneinte, verabreichte ihm der Fremde noch eine Ohrfeige. Das ist eine rüde Geschichte, aber sie hat was. Sie hat den vorzüglichen Hinweis, dass wir nicht als Schlachtvieh geboren wurden, sondern als empfindende Wesen, die empfinden, sprich, kontern sollen, wenn andere sich an uns vergreifen.
Am Schluss von Goenkas Diskurs darf wieder gelächelt werden. Aus Dankbarkeit für den poetischen Ausdruck. Denn er bittet uns, die letzten zwei Tage noch alles zu versuchen, um ein »master of the present« zu werden. Auf deutsch hört sich das noch schöner an: Ein Meister der Gegenwart . Eben kein »master of the universe«, sondern nur einer, der es geschafft hat zu leben. Weil er sich nicht fortlaufend, fort-laufend, in die Vergangenheit oder die Zukunft verkrümelt, sondern mitten im Leben bleibt, im Augenblick.
Schon erstaunlich der Optimismus, der den Guru die ganzen 85 Jahre begleitete, sein pädagogischer Eros, der ihn nie verließ, der ihm immer weismachte, dass Meditation Berge versetzen kann. Vielleicht haben sie im Orient noch
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