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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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ausgehen. Auch der Glanz in seinen Augen sollte zulegen. Auch das Wissen um die Einmaligkeit seines Lebens. Dass er es nur einmal hat und dann nie wieder.
    Bleibt all das aus, dann soll einer das Kissen verbrennen, den Goenka vergessen und wieder mit dem Nasenbohren anfangen. Oder shoppen, bis ihm die Schultergelenke auskugeln. Oder sich die Fernbedienung in die rechte Hand schweißen. Auf dass kein Gramm Hirn und keine Sekunde Weltwachheit ihn belästigen auf seinem Weg ins schwarze Loch.
    Immer, wenn ich schwach werde, wenn ich spüre, dass die Konzentration nachlässt, sie selbst für die einfache Form der Meditation – Atem beobachten, Atemzüge zählen – nicht mehr reicht, dann fängt mein Kopf zu flanieren an. Und flanieren ist sinnlicher als sitzen. Die Synapsen entkrampfen, Einfälle trudeln, Erinnerungen. Als eine Art Belohnung. Das ist nicht die Hohe Schule von Vipassana, und zu meiner Rechtfertigung kann ich nur anführen, dass zwischen meinen Fluchtgedanken und dem Pflichtprogramm (Meditieren!) ein vager Zusammenhang besteht. Ein vager, wie jetzt:
    Ein Artikel fällt mir ein, ein unvergesslicher, den ich vor etwa zehn Jahren gelesen habe. Ich nahm damals an einem Yogakurs in Pune teil und las die Newsweek-Reportage noch am selben Tag ein paar Teilnehmern vor. Wir haben herzhaft gelacht. Der Bericht hörte sich wie eine Depesche aus dem Irrenhaus an.
    Mit wunden Nervenspitzen muss der Autor sie verfasst haben, der Ton war hochdramatisch, absatzweise hysterisch. Während der Lektüre stellte ich mir vor, dass ein Mensch aus einem anderen Jahrhundert am selben Tisch sitzt und mitliest. Er müsste unweigerlich zu der Auffassung kommen, dass die seitenlange Hymne einem Giganten der Menschheit gewidmet war. Vielleicht Jean-François Champollion, dem Mann, der 37 Sprachen beherrschte und die Hieroglyphen dechiffrierte. Oder Jonas Salk, der den Impfstoff gegen Kinderlähmung erfand. Oder Beniamino Gigli, dem Tenor, der vom Himmel fiel. Oder Arminius, dem Mann, der unser Germanien befreite.
    Alles falsch. Die Hagiographie galt Michael Jordan, der am weltbesten einen Gummiball in ein Gumminetz werfen konnte. Und der nun wieder einmal mit seinem Rücktritt drohte. Und Amerika stand wieder einmal am Rande einer nationalen Krise, ja lief Gefahr, von der Weltkarte zu verschwinden. So unfassbar, so unerträglich schien die Vorstellung, dass der begnadetste Gummiballwerfer aller Zeiten die Basketball-Arena verließ. Obwohl – ich habe die Zahlen damals auswendig gelernt – er ein festes Gehalt von 35 Millionen Dollar bezog und weitere 45 Millionen als Werbeträger für Fruchtsäfte und Gummischuhe (und und und) verdiente. Wegen all dieser die Grenzen des menschlichen Geistes auslotenden Tätigkeiten, wegen all des Segens und Nutzens, den durch die Luft schwirrende Gummibälle einem Volk zuteil werden lassen, für all das hatte der damalige Präsident Bill Clinton Mister Jordan zum »Vorbild der amerikanischen Jugend« erklärt.
    Seltsamerweise war ich nach dem Lesen nicht zermürbt, nicht moralisch entrüstet. Ich mag Geld. Würde mich morgen der Verlag anrufen und den Vorschuss auf achtzig Millionen aufstocken, ich wäre viel zu kraftlos, um nein zu sagen. Dass Bimbos – seien sie schwarz oder weiß oder gelb – fürs Bimbosein Unmengen kassieren, ist ein alter Hut. Nein, ich war wunderlich amüsiert. Denn mein Blick auf die Fotos mit den enthusiastischen Massen, die sich bald vor Trauer krümmen würden, löste ein anderes Bild in mir aus. Auch mit Massen, auch von Sinnen, auch wegen eines Mannes. Es entstand nicht lange vor Jordans (möglichem) Ruhestand, am 20. Februar 1997 in Kolkatta (früher Kalkutta). Ich weiß es, denn ich war dabei.
    An diesem Tag organisierten die Indian Railways ein »re-enactment« der Ankunft eines Zuges, der vor genau hundert Jahren, eben am 20.2.1897, im Hauptbahnhof der Stadt eingelaufen war. Damals kam einer der berühmtesten Inder aus den USA zurück, wo er gelehrt hatte, Swami Vivekananda. Er gehört zu den indischen Urheiligen, er war Hindu, Mönch, Gelehrter mit westlicher Bildung. Und ein Meditationsgenie, das nichts als unverwüstliche Nächstenliebe verkündete. Später gründete er die Ramakrishna Mission , bescheiden nach seinem eigenen Lehrer benannt. Erste Aufgabe der Organisation war nicht, die Thesen des Meisters zu verbreiten, sondern sozial tätig zu sein. Ohne Rücksicht auf Kaste, Religion, Nationalität. Krankenhäuser, Schulen, Heime für Waisen und

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