Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
Vipassana. Meisterlicher hätte man der Herausforderung nicht begegnen können. Gedanke, Wort, Aktion. Ohne die geringste Irritation hat sie den Auftrag erfüllt, den sie sich erteilt hatte. Kein spirituelles Murmeln, kein »All-you-need-is-love«-Gegreine, kein zahnloses Psychologisieren. Dreimal Nein. Einzig eine Tat konnte die Tatsachen ändern. Und sie handelte.
Ich handle nicht. Ich lasse mich einfurzen und – schön aberwitzig – beobachte meine Nasenlöcher. Statt dem Zwanghaften die längst fällige Kopfnuss zu verabreichen. Oder – die Fäuste in den Hüften – scharfzüngig in sein Ohr zu flüstern: »Stop your fucking farts!« Wie hätte die Inderin reagiert? Jetzt grinse ich, immerhin.
Mittagspause. Ich tröste mich bei den Rosen, stecke den Kopf hinein und rieche. Als Antiserum. Und betupfe mit Tau – der Tag ist kühl – meine Wangen. Schönheit repariert auch. Wie benommen sitze ich neben dem Rosenbusch. Vipassana macht verwundbar. Jetzt tut Schönheit fast weh, so nah kommt sie, so transparent wird die Haut, so widerstandslos dünn.
Wieder brodelt das Wasser im großen Kessel. Und wieder weichen viele ihre Wäsche ein. Wie ich sie bewundere. Die Kraft, die Ausdauer. Und heimlich lächle. Als ich mein erstes Honorar bekam, hatte ich längst bestimmt, wozu Geld in meinem Leben da sein sollte. Ich las damals einen Spruch, der es fehlerlos formulierte: »Leben und waschen lassen.« Das zeigt einmal mehr nur den Schlechtmenschen in mir. Zu meiner (matten) Verteidigung könnte ich anführen, dass ich korrekt bezahle. Sonst nichts. Und dass ich keinen Bock auf ordinäre Haushaltsgeräusche habe. Zu den attraktiveren Dingen, die Geld kann, gehört Lebenszeit kaufen. Daran wird auch Vipassana nichts ändern. Im Gegenteil, so penetrant wie in diesen Tagen habe ich schon lange nicht mehr erfahren, dass nichts schneller entschwindet als das bisschen Zeit, die uns gegeben wurde. Hier in der Welt.
Ich vermute, dass jeder von uns diesen Garten genießt. Jeder Blick, jeder Schritt, jedes Einatmen versöhnt. Heute pflügen die Gärtner das gestern abgeerntete Kartoffelfeld. Ohne das kleinste Detail zu verändern, könnte man hier einen Film drehen, der im 17. Jahrhundert spielt. Die Kurta, das weite Hemd, der Dhoti, die weite Hose, der Turban, die nackten Füße. Vor vierhundert Jahren sahen die Bauern nicht anders aus. Und der Pflug ist ein schmales Brett, auf dem einer kauert und zwei ihn mittels dicker Schnüre über den Acker ziehen. Kein lautes Wort fällt, und die drei bewegen sich mit einer Gelassenheit, die sich sogleich auf den Betrachter überträgt. Ich blicke auf sie, als säße ich in einem Kinosaal. Wie gern wüsste ich, wie sie fühlen und denken. Sie sehen aus, als wären sie vollkommen einverstanden. Vielleicht bin ich nur ein unbedarfter Schönredner, vielleicht legen sie sich nach dem Pflügen auf die Couch des Dorf-Psychiaters und beklagen ihre zerrissenen Seelen.
Unser letzter Nachmittag mit striktem »noble silence«. Unser letzter, gut so. Inzwischen haben sich eine Million Wörter in mir gestaut, die ich hören oder reden will. Natürlich kommen Zweifel, ob sich die Zeit hier »gelohnt« hat. Ja, ich bin ein einfacher Mensch, ich will einen Lohn für die Lasten und Einsamkeiten, die ich ausgehalten habe. Aber ich werde nicht auf »instant gratification« pochen, nicht der »holy indifference« harren. Ich werde Vipassana Zeit geben, um seine Wohltaten an mir loszuwerden. Hier in Indien schlucke ich die Medizin und im Laufe der Zeit wird sie wirken. Mit meinem Zutun.
In seinem Buch »De l’amour« vergleicht der französische Schriftsteller Stendhal den Wandel durch Liebe mit einem winterkalten Zweig, den man in den Schacht einer aufgegebenen Mine bei Salzburg wirft. Und ihn nach ein paar Monaten wieder zurückholt. Aber jetzt ist er bedeckt mit »cristallisations brillantes«, nicht wiederzuerkennen, da nun besetzt von winzigen, blendenden Diamanten, den Kristallisationen. So würde es jedem ergehen, der geliebt wird. Liebe verziert, macht funkeln.
Nun, ich will mich nicht überheben. Auch Vipassana nicht. Edelsteine werden nie auf meiner Seele wachsen. Aber der Vergleich hat was, trotzdem. Wenn die Nachwirkungen, die Nebenwirkungen von Meditation nicht eines Tages fruchten, dann stimmt etwas nicht. Entweder nicht mit der Methode oder mit dem Anwender. Müssen ja nicht gleich Juwelen sein, die den Schüler verschönen. Aber ein paar Wärmegrade mehr sollten irgendwann von ihm
Weitere Kostenlose Bücher