Trigger - Dorn, W: Trigger
wechselte Form und Farbe. Am Ende dieser Verwandlung hielt sie einen Schraubenzieher mit leuchtend rotem Plastikgriff in der Hand. Von seiner Spitze tropfte Blut auf den Boden.
Chris nickte ihr zu. »Ja, das ist eine gute Idee.«
»Ich weiß aber nicht, ob ich es kann.«
»Natürlich kannst du.«
Sie seufzte und ließ sich auf die Knie sinken. Dann
schob sie den Ärmel ihrer Jacke zurück und starrte auf ihren Arm.
»Es ist richtig«, sagte Chris. »Spür dich selbst. Nur dann wirst du wissen, wer du wirklich bist.«
»Meinst du?«
»Ja, vertrau mir. Der Schmerz ist …«
»… das einzig echte Gefühl.«
Sie nickte und stieß sich den Schraubenzieher in den Unterarm. Sie spürte den brennenden Schmerz, das Kribbeln der durchtrennten Sehne und sah, wie ihre Finger kraftlos auseinanderfielen.
Dann endlich kam das Blut. Ihr eigenes Blut, warm, hell und feucht. Es tat entsetzlich weh, als sie die Spitze in ihrem Fleisch drehte, aber gleichzeitig war es auch ein ungemein schönes Gefühl. Ein kristallklares Gefühl.
»Ja«, bestätigte sie Chris. »Schneid tiefer, lass es aus dir heraus. Fühl es, fühl dich selbst.«
»Es tut weh«, flüsterte sie, »aber es ist auch sehr schön. Es macht mich frei.«
Sie zog die Spitze aus ihrem Arm und stieß erneut zu.
»Es macht mich frei«, sagte sie noch einmal. »Endlich.«
Sie schnitt wieder.
Und wieder.
Und wieder.
»Da drüben!«
»Um Gottes willen!«
Mark lief noch schneller, hängte Nicole schließlich ab. Er stürmte zu dem alten Mann, der sich neben einem umgestürzten Korb voller Pilze am Boden krümmte. Er hatte schon ziemlich viel Blut verloren. Sein einstmals blaues
Hemd war an der Vorderseite vollgesogen, als habe jemand einen Eimer roter Farbe darüber ausgeschüttet.
Nun erreichte auch Nicole die beiden Männer.
»Die Verrückte«, keuchte der Mann und zeigte zur Ruine. »Da hinten!«
Während Nicole bei dem alten Mann zurückblieb, lief Mark in die Richtung, in die er gezeigt hatte. Gleich darauf sah er Ellen.
Sie kniete vor einer verwilderten Treppe und stützte sich mit einem Arm auf den Boden, während sie mit dem Skalpell in ihrer anderen Hand immer wieder auf den Arm einstach.
Als Mark sie packte und ihr das Skalpell entriss, leistete sie kaum Widerstand. Er drückte sie an sich, streichelte ihren Kopf und konnte seine Tränen nicht zurückhalten.
»Ellen, o mein Gott, Ellen, warum nur? Warum?«
Doch sie hing regungslos wie eine Puppe in seinen Armen.
Kapitel 41
Mark trat hinaus ins Freie und fühlte die angenehme Wärme der Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. Vögel zwitscherten, und die Luft schmeckte würzig nach den nahe gelegenen Wäldern.
Auf seinen Rat hin hatte Nicole auf einer Parkbank vor dem Freudenstadter Kreiskrankenhaus auf ihn gewartet.
Sie war noch immer kreidebleich, sah aber schon etwas besser aus, fand Mark. Auf dem Weg zur Klinik hatte sie neben dem ohnmächtigen Pilzsammler auf der Rückbank des alten VWs gesessen und Ellen im Arm gehalten. Nicole war leichenblass gewesen, und Mark hatte sich auch um sie Sorgen gemacht. Doch inzwischen hatten Sonne und frische Luft ihre Wirkung gezeigt, und Nicole schien den ersten Schock überwunden zu haben.
Als sie ihn sah, sprang sie auf und lief ihm entgegen.
»Wie geht es ihr? Was sagt der Arzt?«
Mark durchwühlte seine Jacke nach Zigaretten und wurde fündig. Er ließ sein Zippofeuerzeug aufschnappen und nahm einen tiefen Zug, ehe er antwortete.
»Die Schnittwunden im Arm sind tief. Sie hat sich eine Sehne und einen Muskel durchtrennt, weshalb ihre Hand höchstwahrscheinlich steif bleiben wird. Aber der Blutverlust ist nicht so schlimm, wie es zunächst ausgesehen hat. Ich mache mir mehr Gedanken über ihren geistigen Zustand. Sie ist vollkommen weggetreten und reagiert auf nichts.«
»Und Masurke?«
»Er hat ziemlich viel Blut verloren, man musste ihm eine Transfusion legen. Aber er ist robust und wird es schaffen.«
Mark setzte sich auf eine der Parkbänke und nahm einen weiteren tiefen Zug aus seiner Zigarette. Jetzt, da sich die Aufregung bei ihm zu legen begann, schossen ihm Tränen in die Augen.
»Es ist erst ein paar Tage her, da saßen wir in Ellens Büro und sie beschrieb mir, wie sie weiche Knie bekommen hatte. Kurz zuvor hätte sich einer ihrer Patienten fast das Leben
genommen, und Ellen hatte es gerade noch verhindern können. Jetzt …« Er musste schlucken, ehe er weitersprechen konnte. »Jetzt bin es ich, dem es so geht, nachdem ich bei ihr das
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