Trigger - Dorn, W: Trigger
Schlimmste verhindern konnte.«
Nicole setzte sich neben ihn und berührte seine Schulter. Eine Weile schwiegen sie, und Mark bemühte sich, wieder Fassung zu erlangen. Er stand selbst noch unter Schock und musste dagegen ankämpfen.
Nach einer Weile sagte Nicole: »Schon verrückt. Ich kannte sie nur als Lara. Hat Annemarie denn wirklich gedacht, wenn sie Laras Namen ändert, wird sie die schlimmen Erinnerungen los?«
»Ganz gleich, was ihre Mutter auch geglaubt hat, sie hat es dadurch nur noch schlimmer gemacht«, sagte Mark und drückte die Zigarette aus. »Ich denke, dass sie damit Ellens … ich meine natürlich Laras Störung ausgelöst hat.« Er musste den Kopf schütteln. »Wird wohl noch eine Weile dauern, ehe ich mich an den Namen gewöhnt habe.«
»Was genau ist mit Lara los?«, wollte Nicole wissen.
»Bis jetzt ist es nur ein Verdacht, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich damit richtig liege. Man nennt es eine dissoziative Fugue, eine Art Identitätsflucht. Menschen flüchten sich nach einem traumatischen Erlebnis in eine andere Identität. Sie verlassen ihr persönliches Umfeld vollständig. Dabei geben sie sich als eine andere Persönlichkeit aus und sind auch felsenfest davon überzeugt, diese Person zu sein. Das hat jedoch nichts mit einer klassischen Verdrängung gemeinsam, bei der man sich bewusst nicht mehr an etwas Traumatisches erinnern will. Vielmehr ist es eine Art unterbewusster Schutzfunktion, über die der Betroffene keine Kontrolle hat. In der Regel sind diese Leute psychopathologisch
völlig unauffällig, und man glaubt ihnen, dass sie die Person sind, die sie vorgeben zu sein.«
»Aber man kann doch nicht alle um sich herum täuschen.«
Mark lachte müde. »O doch, man kann. Ich bin wohl das beste Beispiel dafür, ebenso ihr Lebensgefährte. Die beiden sind schon eine ganze Weile zusammen, und Chris ist selbst Psychiater. Nicht einmal ihm ist etwas aufgefallen. Allerdings, und deswegen spreche ich vorerst von einem Verdacht, habe ich noch nie von einem derart langen Anhalten einer Fugue gehört. Ellen … Lara muss diese andere Persönlichkeit schon viele Jahre lang gewesen sein. Sicherlich lange genug, um sich an ihre wahre Identität nicht mehr erinnern zu können. Sie hat ihr tatsächliches Ich aufs Beste vor sich und den anderen verdrängt.«
»Und an alldem bin ich schuld.« Nicole griff sich Marks Zigaretten, hantierte mit zitternden Händen an dem Feuerzeug und schaffte es schließlich, sie anzustecken. Hustend stieß sie den Rauch aus.
»Ist meine zweite.« Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. »Die erste habe ich zusammen mit Lara im Wald geraucht. Da war ich zwölf oder so. Danach wollte ich eigentlich nie wieder.«
Mark sah sie eindringlich an und stellte ihr die Frage, die ihm seit den Vorfällen an der Tankstelle und im Wald keine Ruhe mehr ließ. »Nicole, was ist damals wirklich geschehen?«
Sie inhalierte wieder, hustete wieder und drückte die Zigarette aus. »Als … als es passiert war, wollte Laras Vater, dass es auf keinen Fall an die Öffentlichkeit kommt. Er hatte eine hohe Stelle an irgendeiner Uni inne und war um
sein Ansehen besorgt. Er hatte genug Geld, um sich das Schweigen einiger Leute zu erkaufen, aber das hätte er eigentlich gar nicht tun müssen.«
»Warum nicht?«
»Sie sind wohl nicht auf dem Land aufgewachsen?«
»Nein, ich bin ein Stadtkind.«
»Dachte ich mir. Bei uns weiß jeder alles über jeden, aber man tut so, als sei die Welt in Ordnung. Man will nichts von den unangenehmen Dingen wissen. Man schweigt sie lieber so lange tot, bis man sie tatsächlich vergessen hat. Das war schon immer so. Nicht umsonst meidet man oben an der Ruine die Pentagramme.«
»Aber deswegen macht man es doch nicht ungeschehen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht, aber erzählen Sie denen das mal. Nein, die wollen ihre heile Welt. Wenn es sein muss, um jeden Preis. Man will nichts von alldem wissen, was an der Ruine passiert ist. Weder von diesem Verrückten, der seine Familie und den Hof verbrannt hat, noch von dem, was Lara zugestoßen ist.«
»Was für einen Verrückten meinen Sie?«
»Er hieß Alfred Sallinger«, sagte Nicole. »Ihm gehörte der Hof. Soviel ich weiß, muss er einer der vielen gewesen sein, die 1910 an den Weltuntergang durch den Halleyschen Kometen geglaubt hatten. Mein Großvater hat mir erzählt, Sallinger sei nur noch betrunken gewesen und hätte Haus und Hof verspielt. Als der Komet dann doch nicht
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