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Trigger - Dorn, W: Trigger

Titel: Trigger - Dorn, W: Trigger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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der Ruine des Sallinger Hofs sammelte.
    Wahrscheinlich wussten sie es schon längst. Doch keiner der Einheimischen ging freiwillig an diesen Ort, und so blieb das herrliche Pilzterritorium, über dem angeblich ein Fluch lastete, das alleinige Revier des vor achtzehn Jahren zugezogenen Wolfram Masurke – im Ort besser bekannt unter seinem Spitznamen der Ossi.
    Masurke, der bis zum Mauerfall Offizier der NVA gewesen war, bezog nur eine geringe Rente, die er sich mit seinen mykologischen Fachkenntnissen aufbesserte. Seine Braunkappen, Pfifferlinge, Butter- und Steinpilze wurden in den Gaststätten der Umgebung überaus geschätzt und brachten ihm einen netten kleinen Zuverdienst ein.
    Dieser Tag erwies sich als ein wahrer Glückstag, fand er, als er den Inhalt seines Korbs begutachtete. Auf der Lichtung neben dem verwilderten Treppenabgang zum ehemaligen Eiskeller des Hofs hatte er ein ganzes Nest Waldchampignons von bester Güte gefunden, die er nun in ein mit Mineralwasser angefeuchtetes Küchentuch einschlug.
    Xaver Link, Wirt des Gasthofs Rose, würde sich die Hände reiben, so viel stand fest. Doch nicht nur der volle Korb, sondern auch das Knurren seines Magens, der lautstark nach einer deftigen Vesper mit Räucherspeck, Gewürzgurken
und Holzofenbrot verlangte, verleiteten ihn zu dem Entschluss, es für heute gut sein zu lassen.
    Gerade als er von der Ruine zum Waldweg schlenderte, zerriss ein metallischer Schlag die Stille des Waldes.
    Stimmengewirr.
    Es tut so weh.
    Aufwachen, aufwachen, aufwachen …
    Wo bin ich? Wer bin ich?
    Angsthase, Zuckernase, morgen kommt der Osterhase.
    Ellen, Sie waren immer meine beste Schülerin …
    Ich bin, wer ich bin.
    Also gut. Hier ist es!
    Ellen starrte auf das weiße Kissen und fragte sich, wer sie in dieses seltsame Bett geworfen hatte. Nur ganz allmählich begriff sie, dass es kein Kissen, sondern der Airbag des Volvos war. Sie tastete nach dem Türöffner, zog daran, doch die Tür klemmte.
    Mit aller Kraft stemmte sie sich dagegen, wieder und wieder. Endlich bewegte sich die Tür und tat sich mit einem Kreischen auf, das der Stimme eines zu Tode erschreckten Kindes glich.
    Neeeeiiiiiiiiinnnn!
    Mühsam kletterte sie aus dem Wagen, fand erst auf allen vieren Halt und richtete sich dann auf. Der Volvo steckte in einem Seitengraben des Waldwegs, die Hinterräder hingen nutzlos über dem Boden.
    Ellen schwankte zur Seite, stützte sich gegen das Auto und sah sich um. Wo war sie nur? Was wollte sie hier?
    Lass es sein! Wenn du jetzt da hingehst, wirst du sterben!, erklärte ihr eine panische Stimme, die zu keinem realen Wesen
gehörte, nicht einmal zu ihr selbst. Dann gibt es dich nicht mehr.
    Eine weitere Stimme sagte: Geh, dann findest du Frieden, und wieder eine andere reagierte mit einem trotzigen Nein, nein, nein!
    Doch Ellen war nicht mehr in der Lage, auf irgendeine dieser Stimmen zu hören. Sie gehorchte einer Art Instinkt, der sie veranlasste, einen zittrigen Schritt nach dem anderen zu tun. So lange, bis das Zittern verging und sich eine eigenartige Ruhe in ihr ausbreitete. Gleichzeitig begannen die Stimmen in ihrem Kopf zu toben, zu brüllen und zu kreischen, doch Ellen ging weiter.
    Schritt für Schritt für Schritt.
    Dann sah sie die Lichtung. Ohne sich darüber klar zu sein, warum, wusste sie, dies war der Ort, zu dem sie gehen musste. Und sie sah die Gefahr.
    Der Schwarze Mann stand nur wenige Meter vor ihr und erwartete sie bereits.
    Die junge Frau, die auf Wolfram Masurke zukam, sah ziemlich übel zugerichtet aus. Von ihrer linken Schläfe lief Blut herab, das kurze dunkle Haar stand zerzaust von ihrem Kopf ab, und ihr Gang war hinkend. Ihre Jeans war mit dem Matsch des Waldwegs besudelt, und an den Knien konnte er einige Kieselsteine kleben sehen, die an ausgeschlagene Zähne erinnerten.
    Über ihre Schulter hinweg erkannte Masurke den Volvo, der wie ein merkwürdiges schwarzes Kunstwerk im Graben neben dem Waldweg steckte. Der Wagen war derart lädiert, dass es fast an ein Wunder grenzte, mit wie wenigen Blessuren die Frau den Unfall überstanden hatte.

    »Ach du grüne Neune!«, rief der alte Pilzsammler aus und wollte auf sie zulaufen, doch etwas hinderte ihn daran. Es war der Blick dieser Frau. Seltsam entrückt und leer, so als habe man ihren Verstand kurzzeitig in den Urlaub geschickt.
    Masurke erkannte diesen Blick sofort. Es lag zwar schon viele, viele Jahre zurück, und er glaubte fast, es sei die Erinnerung an ein anderes Leben – was in gewisser

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