Trigger - Dorn, W: Trigger
Schläfen und hoffte, dass es sich nicht zu einem ihrer gelegentlichen Migräneanfälle entwickeln würde.
»Wenn du möchtest, sehe ich mir deine Patientin gern einmal an«, schlug Mark vor. »Wäre effektiver, als dir mit Ferndiagnosen zu helfen. Was hältst du davon, wenn ich morgen vor Dienstbeginn bei dir auf der Station vorbeischaue?«
»Dafür wäre ich dir sehr dankbar.«
Er erwiderte ihr Lächeln, doch nur für einen kurzen Moment. »Etwas anderes macht mir allerdings noch ein wenig Sorgen, Frau Kollegin. Und das bist du.«
»Ich?«
»Ja, du. Ich erzähle dir sicher nichts Neues, wenn ich sage, dass es Fälle gibt, an denen man sich die Zähne ausbeißen kann. Fälle, die so schwerwiegend sind, dass selbst der beste Psychiater nicht helfen, sondern allenfalls lindern kann.«
»Mark, ich …«
»Warum werde ich dieses ungute Gefühl nicht los, du könntest dich bei diesem Fall in etwas verrennen?« Er beugte sich noch ein Stückchen weiter über den Tisch, und seine Worte klangen ernsthaft besorgt. »Ich will dir ja nicht zu nahetreten, aber heute ist erst Montag, und du siehst
schon ganz schön mitgenommen aus. Letzte Woche muss auch ziemlich stressig für dich gewesen sein, so gereizt wie du neulich in der Kantine auf mich gewirkt hast.«
Sie wollte etwas entgegnen, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Ellen, du solltest diesen Fall nicht zu sehr an dich heranlassen. Was du jetzt brauchst, wäre etwas zum Ausgleich. Wann warst du das letzte Mal in deinem Lieblingscafé auf dem Marktplatz oder beim Joggen an der Donau, hm?«
Sie wich seinem Blick aus und starrte auf ihre Tasse. Der letzte Rest Jasmintee darin musste inzwischen bitter geworden sein.
»Ich werde mich nicht verrennen, Mark. Wenn du morgen ihr Gesicht siehst, all diese Blutergüsse und Schwellungen, und ihre Angst spürst, dann wirst du mich verstehen. Wenn sich jemand, ganz gleich, aus welchem Grund, an einer schwächeren Person vergeht, ist das für mich das schlimmste aller Verbrechen.«
Mit einem tiefen Seufzer lehnte sich Mark zurück. Er nippte an seinem Bier und nickte. »Ich weiß schon, manchmal gibt es so einen – wie hast du es heute genannt – so einen BIF, der einen stärker belastet als all die anderen Fälle, mit denen man sonst zu tun hat. Aber gerade dann sollte man auf die nötige emotionale Distanz achten.«
Ellen rieb sich die Schläfen. Natürlich hatte er Recht. Aber manchmal war es eben nicht einfach, Professionalität und Mitgefühl voneinander zu trennen.
»Mark, was ich will, sind zwei Dinge. Ich will dieser Frau helfen, ihr Trauma zu überwinden. Und ich will, dass man denjenigen erwischt, der an ihrem Zustand Schuld trägt. Das habe ich Chris und vor allem ihr versprochen.«
Sie sah sich in dem vollen Lokal um, betrachtete die Gäste. Es waren Menschen wie du und ich, wie man so sagte. Höchstwahrscheinlich war auch dieser Täter ein Mensch wie du und ich – einer von der Sorte, von dem die Nachbarn später in den Medien berichten würden, sie hätten ihm so etwas nie zugetraut, er sei doch immer so nett und unauffällig gewesen.
Für einen kurzen Augenblick beschlich sie das unheimliche Gefühl, der Schwarze Mann könnte vielleicht sogar einer dieser Gäste sein.
Was, wenn er unmittelbar am Nebentisch saß, getarnt mit einer Was-ist-er-doch-für-ein-netter-Kerl-Maske?
Allein die Vorstellung verursachte ihr eine Gänsehaut. Ihr kamen die Worte der unbekannten Patientin in den Sinn: Versprich, mich zu beschützen, wenn er mich holen kommt!
Ein lautes Lachen hinter ihr ließ sie zusammenfahren. Ellen sah sich um. Ihr Blick traf den eines Mannes im Anzug, der sich mit einem anderen Anzugträger unterhielt. Der Mann musterte sie von oben bis unten und bedachte sie dann mit einem anzüglichen Grinsen. Gleichzeitig hallte eine Kinderstimme in ihrem Kopf wider.
Dich holt er auch, sobald er von dir weiß.
Gegen halb zehn setzte sie Mark vor seiner Wohnung ab. Er fragte nicht, ob sie noch auf einen Kaffee mit hineinkommen wolle, und Ellen war froh darüber. Stattdessen versicherte er ihr nochmals, er werde ihr bei diesem BIF helfen, ehe er sich aus dem tief liegenden Schalensitz ihres Sportwagens ins Freie wuchtete und nach einem kurzen Blick zurück zur Haustür ging.
Als Ellen keine zwanzig Minuten später durch das Gelände der Waldklinik fuhr und das silberne Licht des Halbmondes vom sternenklaren Himmel auf die zahlreichen Linden, Ulmen und Eichen fiel, wurde ihr wieder einmal bewusst,
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