Trigger - Dorn, W: Trigger
rechtzeitig um ihn gekümmert hätte, oder wie lange sein Todeskampf gedauert hatte.
Für Ellen war das wirklich Schockierende an diesem Bericht gewesen, dass es vier Tage gedauert hatte, bis sich Passanten über die Ratten beschwerten, die angefangen hatten, sich an der Leiche gütlich zu tun. Und als sei dies die Pointe zu einem wirklich boshaften Witz, endete der Bericht mit der Erwähnung eines Geldbetrags: sieben Dollar und neunzehn Cent.
Das war die Summe des Kleingelds, das man neben dem Toten gefunden hatte. Münzen, die ihm Passanten hingeworfen hatten. Sieben Dollar und neunzehn Cent für die Erleichterung ihres Gewissens.
Beim Anblick von Kösters Visitenkarte musste sie daran denken, wie sie Chris von diesem Artikel erzählt hatte. Chris hatte gemeint, so sei das eben in Millionenstädten und vielleicht besonders in den USA, und sie hatte nur zu gern zugestimmt. Hier bei uns ist das natürlich anders, hatte sie damals gedacht. Hier bei uns kümmern wir uns um unsere Mitmenschen.
Doch es waren die Visitenkarte in ihrer Hand und der Zettel, den sie Silvia Janov hinterlassen hatte, die sie nun Lügen straften.
Also was ist?, schien das Stück Karton in ihrer Hand zu
sagen. Lässt du es bei deinem Beitrag zu den sieben Dollar und neunzehn Cent bewenden?
Natürlich nicht!
Ellen warf die Karte auf den Beifahrersitz und startete den Motor. Zunächst einmal würde sie zurück zum Wohnheim fahren. Was sie jetzt brauchte, war dreierlei: Ruhe zum Nachdenken, eine Kopfschmerztablette – vielleicht auch zwei – gegen ihre Migräne, die sich wie ein anschleichendes Raubtier ankündigte, und einen Plan, wie sie die Frau ohne Namen ausfindig machen konnte.
Während sie an der Ausfahrt der Polizeiwache darauf wartete, auf die Hauptstraße abbiegen zu können, fiel ihr auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein alter VW-Kleinbus auf, der an einer Bushaltestelle parkte. Irgendetwas an diesem Wagen alarmierte sie.
Zunächst konnte sich Ellen ihre Beunruhigung nicht erklären. Es war ein V W-Kleinbus, ein gewöhnlicher orangefarbener VW-Kleinbus, etwas alt zwar und ziemlich rostig – wahrscheinlich würde ihn die nächste TÜV-Untersuchung im wortwörtlichen Sinn aus dem Verkehr ziehen -, aber dennoch war auf den ersten Blick nichts erkennbar, das ihr merkwürdiges Gefühl rechtfertigte.
Doch ein anderer Teil ihrer Wahrnehmung – jener Teil, der immer wachsam bleibt – forderte sie auf, noch einmal genauer hinzusehen.
Zuerst fiel ihr auf, dass er an einer Bushaltestelle parkte, an der absolutes Halteverbot herrschte – noch dazu genau gegenüber der Polizeistation. Wenn man ihn erwischte, würde es einen saftigen Strafzettel geben, sozusagen mit besten Grüßen aus der hungrigen Gemeindekasse. Dabei erweckte das Fahrzeug eher den Eindruck, als könne
sich sein Besitzer gerade mal den nötigen Sprit dafür leisten. Noch dazu stand der Kleinbus entgegengesetzt zur Fahrtrichtung, und Ellen fragte sich, wie der Fahrer dieses Kunststück auf der stark befahrenen Straße hinbekommen hatte.
Und da war noch etwas – eine Art Instinkt oder Gefühl, das sie sich nicht erklären konnte und das sie schrecklich nervös werden ließ. So verrückt es auch sein mochte, aber es kam ihr so vor, als würde dieser Kleinbus irgendwie … nun ja, irgendwie lauern.
Natürlich, spottete eine Stimme in ihr, heutzutage lauern solche Rostlauben an jeder Ecke. Und wenn man zu dicht daran vorbeifährt, dann fallen sie einen an. Hey Mädchen, wird wirklich Zeit, dass du eine lange Dusche nimmst und wieder klar im Kopf wirst, bevor du auch noch glaubst, dass …
Bevor sie was glaubte?
Dass der VW-Bus da drüben auf dich lauert, antwortete die Stimme.
»So ein Quatsch!«
Sie trat aufs Gaspedal und scherte zwischen zwei Autos in den Verkehr ein. Dabei musste ein Mercedes-Fahrer hinter ihr heftig auf die Bremse treten, um sie nicht zu rammen. Ellen sah ihn im Rückspiegel mit der Faust drohen und ihr den Mittelfinger zeigen und dachte zuerst, er wäre auch derjenige, der das Hupkonzert veranstaltete. Doch dann sah sie, wem das Hupen wirklich galt.
Beinahe gleichzeitig mit Ellen war der Kleinbus losgefahren. Er jagte quer über die Fahrbahn und zwang einen entgegenkommenden Mini Cooper zu einem Ausweichmanöver, das um Haaresbreite zu einem Frontalaufprall mit einem Lastwagen geführt hätte. Der Mini reagierte jedoch
in Sekundenbruchteilen, schwenkte in seine Spur zurück und war gleich darauf im Nachmittagsverkehr
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