Trigger - Dorn, W: Trigger
Janov den Kopf. Ellen musste sich auf die Lippe beißen, um nicht vor Schreck zu schreien.
Die Frau sah schlimm aus. Jahrelanger Alkoholmissbrauch hatte ihr Gesicht gerötet und ein Netz feiner Äderchen auf ihrem Nasenrücken hervortreten lassen. Über der rechten Braue leuchtete eine weiße Narbe, eine weitere auf ihrem Kinn. Die Nase musste schon mehrmals gebrochen worden sein, und ein mehrere Tage alter Bluterguss, der sich über Wange und Hals bis hinunter zur knochigen Schulter zog, schillerte in allen Regenbogenfarben. Spuren einer traurigen Vergangenheit und einer Gegenwart ohne Hoffnung.
Doch trotz all dieser Entstellungen erkannte Ellen sofort, dass Silvia Janov nicht die Frau war, mit der sie tags zuvor auf Station 9 gesprochen hatte.
»Was woll’n Sie von mir? Ich hab keinen Arzt gerufen.« Silvia Janov sprach im Flüsterton, dabei wanderte ihr Blick immer wieder zu der Tür, durch die ihr Mann verschwunden war.
»Ich bin auf der Suche nach einer Patientin«, erklärte Ellen.
»Nach mir?«
»Nein, ich muss mich in der Adresse geirrt haben. Aber wo ich gerade hier bin, könnte ich mir doch Ihre Verletzung …«
»Sie geh’n besser wieder«, zischte Frau Janov. »Ich brauch keine Hilfe. Auch keine Bullen, kapiert?«
Ellen nickte. Doch bevor sie wieder ging, hob sie einen der herumliegenden Papierfetzen auf, der Teil einer Telefonrechnung gewesen war. Auf der Rückseite notierte sie die Nummer des sozialen Notdienstes der Waldklinik. Sie
hielt Silvia Janov den Zettel hin. Die Frau zögerte, dann schnappte sie das Stück Papier mit einer Schnelligkeit, als befürchte sie, Ellen werde es gleich wieder zurücknehmen.
»Jederzeit«, sagte Ellen.
Silvia Janov entgegnete nichts, doch ihr Blick verriet Ellen, dass sie das Angebot niemals annehmen würde.
Kapitel 12
»Na, dann kommen Sie mal rein.«
Polizeihauptmeister Kröger öffnete die Tür neben dem Empfangsschalter. Mit seinem stattlichen Kugelbauch weckte der Mittfünfziger den Eindruck, als wäre er kurz davor, durch das Zurweltbringen von Zwillingen Medizingeschichte zu schreiben. Hinzu kam ein ausgesprochen schlechter Geschmack, was die Wahl seines Aftershaves betraf.
Er führte Ellen zu einem Schreibtisch, der ein Relikt der frühen Achtzigerjahre sein musste, wie auch das restliche Interieur der Polizeiwache. Ohne die Computertastaturen und Flachbildmonitore auf den beiden Schreibtischen hätte man glauben können, einen Zeitsprung um zwanzig Jahre zurück in die Vergangenheit gemacht zu haben.
Nicht nur die Kliniken sind knapp bei Kasse, dachte Ellen und setzte sich auf den angebotenen Stuhl.
Krögers breites Lächeln galt nur zu einem Teil Ellen. Der Rest kam seinem Kollegen zu, der am zweiten Schreibtisch
saß und Kröger hinter Ellens Rücken mit einer anerkennenden Geste etwas in der Art von »Nette Titten!« zu verstehen gab – wobei er übersah, dass er sich im gegenüberliegenden Fenster spiegelte.
Ellen versuchte diese Beobachtung zu ignorieren, während sie Kröger den Grund ihres Besuchs schilderte. Sie versprach sich nicht viel davon, und noch immer machte ihr die Befürchtung zu schaffen, dass man ihr nicht glauben würde, aber ihr blieb keine andere Wahl mehr – jetzt, da sie wusste, dass die unbekannte Frau nicht Silvia Janov war.
Kröger zog einen Notizblock zu sich heran und hörte aufmerksam zu.
»Fassen wir zusammen«, sagte er in wichtigem Tonfall, als sie mit ihrem Bericht geendet hatte. »Sie sind also Psychologin und Ihnen ist eine Patientin abge… abhandengekommen. Eine Frau, die von ihrem Partner oder wem auch immer verprügelt worden ist.«
»So in etwa. Ich bin Psychiaterin, und die Frau könnte möglicherweise von diesem Mann entführt worden sein.«
»Aha.« Kröger notierte sich weitere Stichwörter. »Und wer ist diese Frau? Ich meine, wie ist ihr Name? Wissen Sie, wo sie wohnt?«
»Genau das ist der Punkt. Ich weiß so gut wie nichts über sie.«
»Das ist schlecht.« Kröger malte ein Fragezeichen neben seine Notizen. »Ich meine, das erleichtert uns nicht gerade die Suche. Was genau fehlt dieser Frau?«
Ellen glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. »Hören Sie mir nicht zu? Sie ist schwer misshandelt worden und steht unter Schock.«
»Doch, das habe ich schon verstanden.« Kröger sah sie
skeptisch an. »Aber erklären Sie mir doch mal, wie diese Frau von einer geschlossenen Station fliehen konnte? Also, ich bin ja kein Fachmann, aber jemand, der unter Schock steht, handelt in der Regel nicht
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