Trigger - Dorn, W: Trigger
Gedenkstätte für die über hunderttausend Behinderten – Erwachsene und Kinder -, die dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen waren. Allein in dieser Klinik waren sechshundert Personen zwangssterilisiert oder durch Injektionen getötet worden.
Zwar war das Gebäude, in dem diese Verbrechen stattgefunden hatten, vor langer Zeit abgerissen worden, aber den Keller gab es noch, wie Ellen wusste. Es war wohl zu kostspielig gewesen, ihn zuzuschütten. Und es gab noch immer einen Tunnelzugang, der durch nicht mehr als zwei Klappböcke und ein Schild ACHTUNG EINSTURZGEFAHR! ZUTRITT VERBOTEN! versperrt wurde.
Dahinter lag das ideale Versteck.
In einiger Entfernung schlugen Mark und sein Komplize den Weg in Richtung Wohnheim ein. Bald würden sie feststellen, dass Ellen nicht in ihrer Wohnung war. Sicherlich würden sie dann weiter nach ihr suchen. Vielleicht in dem Parkhaus, in dem ihr Wagen noch immer stand.
Egal, sie schätzte, dass ihr noch genügend Zeit blieb, um
sich zu vergewissern, ob sie mit ihrer Vermutung richtig lag.
Wenn die Frau tatsächlich in dem Keller gefangen gehalten wurde, würde sie endlich die Polizei verständigen können.
Mit einem Gefühl, das eine Mischung aus Aufregung, Erleichterung und auch ein wenig Triumph war, öffnete sie die Abdeckung des Lüftungsschachts.
In diesem Moment packte sie jemand an der Schulter.
Kapitel 28
Der Weg hin zu dem, was man gemeinhin als Verrücktsein bezeichnet, ist nicht weit. Manchmal genügt ein winziges Kommunikationsproblem zwischen ein paar Gehirnzellen, und es ist geschehen.
Den ersten schizophrenen Schub hatte Florian Jehl mit siebzehn erlebt. Er war unruhig und aggressiv geworden und von dem Gedanken besessen, dass seine Eltern ihn vergiften wollten. Das hatten ihm die Stimmen in seinem Kopf erklärt, die zunächst nur gelegentlich zu hören gewesen waren, dann immer beharrlicher wurden und schließlich permanent auf ihn einredeten.
Anfangs war man diesen Symptomen mit Medikamenten Herr geworden, und Florians klares Denken kehrte zurück. Doch die Schübe kamen wieder und wieder, bis man ihm letztlich eine chronische Schizophrenie attestierte.
So begann für ihn eine klassische Psychiatrielaufbahn: Einweisung, neue Dosierung der Medikation, Besserung, Entlassung, Verschlechterung, wieder Einweisung … ein Teufelskreis.
Anfangs hatte Florian den Stimmen misstraut. Wie er herausbekam, stammten sie von den Plüschschnecken, die zu Hause neben seinem Bett im Regal saßen. Irgendwann wurde ihm dann klar, dass diese Schnecken auf seiner Seite standen. Immerhin warnten sie ihn vor der Gefahr, die von seinen Eltern ausging – vor allem, wenn seine Mutter von ihm verlangte, er solle etwas essen, in dem sich definitiv Gift befand, das sie von Geheimdienstleuten erhalten hatte, um ihren Sohn für immer zum Schweigen zu bringen. Und so solidarisierte sich Florian mit seinen neuen Freunden.
Seither war sein jeweiliger Krankheitszustand am besten daran zu erkennen, ob er einen seiner Schneckenfreunde bei sich trug oder nicht.
Die Schnecke, die er im Arm hielt, als er Ellen gegenüberstand, hatte ein braunes Haus, einen kurzen beigefarbenen Stoffhals und ein breites Grinsegesicht mit großen Kulleraugen.
Auch Florians Augen standen nun weit offen. Ellen war bei seiner Berührung derart zusammengefahren, als habe sie ein Stromschlag getroffen. Mit einem Aufschrei war sie vor ihm zurückgewichen und dabei um ein Haar gestürzt.
»H-hallo, Florian, hast du mich vielleicht erschreckt.«
»Hallo, Frau Dr. Roth. Tut mir leid, das wollte ich nicht. Sind Sie das wirklich? Ich tu mich da manchmal schwer, das zu unterscheiden.«
»Ist schon gut. Und um deine Frage zu beantworten: Ja, ich bin es wirklich.«
Interessiert bestaunte er das Gitter in ihren Händen. Es war leicht zu entfernen gewesen, sie hatte nur vier dünne Aluminiumspangen aufbiegen müssen.
»Was machen Sie denn da?«
Ellen stellte das Gitter neben dem offenen Schacht ab.
»Ich … nun ja, ich sehe hier nur schnell etwas nach. Musst du denn nicht zurück auf deine Station?«
Florians Gesicht verfinsterte sich. »Nein, das geht jetzt nicht. Ich hab eigentlich auch keine Zeit für Sie. Zuerst muss ich mit dem da«, er hob die Schnecke hoch, »ein ernstes Wort reden. Der quatscht dauernd solchen Mist, und ich bekomme dann Ärger.«
Ellen musste ihre Nervosität verbergen. Sie hatte jetzt keine Zeit, auf ihn einzugehen. Trotzdem half es nichts, Florian wegzuschicken. Das würde ihn nur
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