Trilogie des Tötens - X-Mas Edition - 3 Thriller (German Edition)
gemütlich, aber Jimmy liebte dieses heruntergekommene Ambiente, das ihm einen Hauch von Freiheit vermittelte. Eine bisher unbekannte Freiheit, die ihm seine Mutter nicht zugestehen wollte. Denn seine Mutter hatte panische Angst, dass ihm etwas zustoßen könnte, und ihre Paranoia nahm schon bedenkliche Formen an. Jeder Erwachsene war für sie ein potenzieller Kinderverführer. Bei dem Gedanken, dass seine Mutter einmal Phil zu Gesicht bekommen würde, musste Jimmy unwillkürlich grinsen.
Zum ersten Mal hatte er Phil vor dem Center bemerkt, an einem jener langweiligen Tage, an denen er die Schule geschwänzt hatte. Jimmy hatte sich im Hafenviertel herumgetrieben und war schließlich auf dem verkommenen Parkplatz gelandet, wo Türken und Albaner, Österreicher, Nigerianer und Vietnamesen vom Autoreifen bis zum Taschenrechner alles verkauften, was sich auch nur irgendwie zu Geld machen ließ.
Mit großen Augen hatte sich Jimmy durch die Menschenmassen aus aller Herren Länder treiben lassen und den Lärm, den die Händler verursachten, genossen. Unter dem Dach des mit Brettern verrammelten Haupteingangs hatte dann ein langer Tisch sein Interesse geweckt, auf dem nur kleine Körner lagen. Körner in Form von Kreisen und von Kreuzen. Körner wie Sternenstaub, die Jimmy an die Milchstraße erinnerten und an die gekiesten Wege in den heißen Sommern seiner Kindheit, in denen alles überbelichtet wirkte, wie in einem alten Film, einer Kindheit, in der er noch gewusst hatte, wie ein echtes Zuhause war.
Der alte Mann hinter dem Tisch hatte zwar ein wenig merkwürdig ausgesehen mit seinem über und über mit Vogelscheiße verklebtem Mantel, aber sein vom Schnaps verwüstetes hochrotes Gesicht hatte auf Jimmy offen und freundlich gewirkt. Geschäftig hatte er Jimmy zu sich gewinkt, noch schnell einen kräftigen Schluck aus einem abgegriffenen Flachmann gekippt, um dann theatralisch wie ein Zauberer mit seiner Vorführung zu beginnen.
„Hochverehrtes Publikum!“, hatte er gerufen und dabei mit seinen verquollenen, blutunterlaufenen Augen Jimmy verschwörerisch zugeblinzelt. „Hochverehrtes Publikum! Ich bitte um Ruhe. Die Künstler müssen sich auf ihren Auftritt vorbereiten!“
Natürlich war auf dem überfüllten Parkplatz an Ruhe nicht zu denken und die wenigen Zuseher, die sich um den Tisch scharrten, schüttelten den Kopf oder tippten sich kichernd an die Stirn.
„Ein Verrückter! Total crazy!“, hörte Jimmy, bevor ein lauter Pfiff alle verstummen ließ. Noch immer hatte Jimmy diesen besonderen Klang in den Ohren, diesen Laut, der sich so grundsätzlich von allen unterschied und den er auch jetzt noch unter tausenden Geräuschen wiedererkennen würde. Und plötzlich waren sie da: An die zwanzig Tauben rauschten im Formationsflug über den Himmel, flatterten wie ein riesiges Dreieck über den Parkplatz, sodass die Händler auf ihre Tauschgeschäfte vergaßen, alle Gespräche verstummten und Händler und Kunden mit offenem Mund in den bleigrauen Himmel starrten, von wo das Geschwader jetzt zur Landung ansetzte und knapp über ihren Köpfen auf den langen Tisch vor dem verrammelten Eingang zusteuerte. Aus den Kreisen, Kreuzen und Milchstraßensystemen formte sich plötzlich ein Ballett aus Federn, rosa Beinen und eleganten Schnäbeln, als die Tauben leise gurrend die Körner aufpickten und anschließend wie ein Gemälde auf dem Tisch regungslos verharrten.
„Echt krass!“, mehr brachte Jimmy damals nicht über die Lippen. Als er sich von seiner Überraschung erholt hatte und die anderen Händler und Schaulustigen den Zylinder des alten Mannes mit Münzen und abgelaufener
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