Trilogie des Tötens - X-Mas Edition - 3 Thriller (German Edition)
weg, den ihm Cordula Wagner immer hektischer ins Gesicht blies.
Als sie ihre kerzengerade Haltung aufgab und auf dem Sofa zusammensank, wusste Braun, dass er diese Runde gewonnen hatte.
„Sie hat mich angerufen. Vor ungefähr einem Jahr. Sie wollte, dass mein Mann wegen einer verschwundenen Freundin von ihr nachforscht. Ich habe das natürlich abgelehnt. Habe ihr gesagt, dass unser Name damit nicht in Verbindung gebracht werden darf. Unser Name muss doch rein bleiben.“
Sie rauchte ihre Zigarette bis zum Filter und zerdrückte die Glut mit den Fingerspitzen, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. „Sie hat bloß gelacht. ,Euer Name ist schon im Dreck!‘, hat sie gesagt. ,Denn ich bin eine Nutte!‘“
Cordula Wagner richtete sich wieder auf, räusperte sich, fingerte eine weitere Zigarette aus dem Etui und zündete sie mit zitternden Fingern an. Ihre Stimme erklang wie von weit weg, wie aus einer anderen Welt, und vibrierte leicht.
„Das waren die letzten Worte, die ich von meiner Tochter gehört habe: ,Ich bin eine Nutte.‘“
Lange starrte Cordula Wagner auf die Zigarette in ihrer Hand, dann drückte sie die glühende Spitze fest in ihre Handfläche. Braun hinderte sie nicht daran. Als er das verbrannte Fleisch ihrer Hand roch, überkam ihn für einen kurzen Moment so etwas wie Mitleid für Cordula Wagner. Ihr Mann war nicht ansprechbar und würde nach Ansicht der Ärzte auch in einem komaähnlichen Zustand bleiben und ihre Tochter war grausam ermordet worden. Doch dann dachte er wieder an ihr eiskaltes Verhalten und den fast krankhaften Mangel an Mitgefühl. Angeekelt stand er auf und verließ grußlos die Wohnhalle. Alles, was er wusste, war, dass Cordula Wagner in einem Haus der Lügen und bereits in der Hölle lebte.
34. Vor dem Vergessen bewahren
Diesmal war die Zeit zwischen Mitternacht und Morgen für Kim Klinger am schlimmsten. Unruhig wälzte sie sich in ihrem Bett hin und her, dachte an die Diagnose des Neurologen, an ihre Porträts, die hinter der Tür an der Wand hingen, die niemanden interessierten und die nach ihrem Tod hier in der Wohnung vergessen würden.
„Ich muss die verschwundenen Mädchen vor dem Vergessen bewahren“, flüsterte sie leise, als sie im ersten Morgengrauen mit einer Tasse Kaffee am Fenster stand und die Tauben beobachtete, die in dem leer stehenden Gebäude gegenüber ein- und ausflogen. Vor dem Vergessen bewahren!, warum bekam sie diesen Satz nicht mehr aus dem Kopf? Ständig musste sie an Brauns Worte denken und vielleicht hatte ihr Leben ja doch einen Sinn, wenn es ihr gelang, das Geheimnis dieser verschwundenen Mädchen zu lüften. Es war wie draußen. Auch dort verschwanden Menschen, Autos und Straßen in dem dichten Nebel, der die Stadt einhüllte und zu Boden drückte. Noch immer stand sie am Fenster, trank Kaffee, rauchte und starrte ins Leere.
Bevor Kim ihre Wohnung verließ, ging sie nochmals ins Schlafzimmer, öffnete die hohen Flügeltüren, hinter denen nichts war als eine Mauer und ihre Selbstporträts, die an der unverputzten Ziegelwand hingen. Kim stellte sich mit dem Rücken zu diesen Bildern und schoss mit ihrem Handy ein Foto ihres Gesichts. Unbarmherzig nahe, ein Hyper-Close-up, damit auch jede Falte, jeder Schatten einer schlaflosen Nacht dokumentiert wurden. So nahe, wie sie nie wieder einen Menschen an sich heranlassen würde.
*
Vor dem Gebäude in der Linzer Innenstadt, in dem die Morgenpost ihre Redaktion hatte, klaute Kim eine Zeitung aus dem Ständer: „Tochter des Linzer Polizeipräsidenten ermordet!“ Die fette Schlagzeile nahm beinahe die Hälfte der Zeitung ein und als Kim die gefaltete Titelseite umdrehte, sah sie das Porträt eines jungen Mädchens mit blonden Haaren und einem Muttermal auf der
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