Trinity (German Edition)
verbliebenen Männer husteten; es wirkte so, als würden sie auf etwas warten. Werner wurde plötzlich bewusst, dass er den Nachruf noch nicht gesprochen hatte und er versuchte, sich zu konzentrieren, zwang sein Bewusstsein, einen Augenblick lang die Schmerzen zu vergessen. In den letzten paar Tagen hatte er sein Repertoire an Nachrufen praktisch erschöpft.
»Möge die See diesen Mann aufnehmen und ihn behalten. Mögen die Strömungen des Meeres ihn dorthin tragen, wo all die anderen tapferen U-Bootfahrer, die in diesem schrecklichen Krieg gestorben sind, ihre letzte Ruhe gefunden haben. Und möge Gott uns anderen barmherzig sein.«
Die zwei anderen Männer rollten die in Laken gehüllte Leiche von Deck. Tellmark klatschte weich ins Wasser, trieb dann eine Weile auf den Wellen dahin, bis er langsam versank. Die klopfenden Dieselmotoren trugen das U-Boot von der Stelle weg, wo die Leiche schließlich verschwand.
Kapitänleutnant Werner hatte in der vergangenen Woche sechzehn ähnliche Nachrufe gehalten. Zwanzig weitere Mannschaftsmitglieder lagen todkrank und brachen Blut in die Bilgen. Das U-Boot verfügte nicht über genügend Kojen für sie alle – gewöhnlich wechselten sich die Männer auf ihren Schichten ab, und die eine Hälfte schlief, während die anderen arbeitete. Aber von seiner fünfzigköpfigen Mannschaft waren nur noch vierzehn übrig, die imstande waren, ihren Dienst zu leisten.
Sie würden alle sterben, eingeschlossen in einem Metallbehälter von der Größe zweier Eisenbahnwagons. Unten stank es nach Krankheit und Tod.
Als sie den Hafen von New York hinter sich gelassen und angefangen hatten, Kurs quer über den Atlantik zu setzen, sahen die Mannschaftsmitglieder alle gleich aus, rochen gleich und verhielten sich gleich. Sie waren so lange auf so engem Raum eingeschlossen gewesen, dass viele ihrer Gewohnheiten, ihrer Verwünschungen und sogar ihr Gesichtsausdruck sich aneinander angeglichen hatten. Die persönlichen Gewohnheiten eines jeden Mannes waren der ganzen Mannschaft auf das Intimste vertraut geworden – wie sie schnarchten, wie sie lachten, wie sie aßen. Sie waren ein eng zusammengeschweißtes Team; nur zwei hatten sich nicht wohlgefühlt und sich allem Anschein nach eine schwere Erkältung zugezogen.
Auf vorangegangenen Reisen hatte Werner dieses beinahe übernatürliche Gefühl des miteinander Einsseins genossen, jenes Miteinanderteilens von Geheimnissen, das andere Menschen nicht verstehen konnten. Aber jetzt wirkte es gegen sie, weil die ganze Mannschaft bis auf den letzten Mann wusste, dass sie dem Tode geweiht waren. In dem großen eisernen Sarg der U-415 gärte die Krankheit.
Werner kletterte ins Innere des U-Bootes, trat dabei auf jede Sprosse der Aluminiumleiter. Seine Beine zitterten so, dass er nicht mehr imstande war, einfach an der Leiter entlang hinunterzurutschen, wie er das früher immer getan hatte. Im Turm teilten sich drei Männer eine Zigarette, schützten sie vor den Brechern und der Gischt, die häufig die Zigaretten auslöschte. Der beißende Tabakgeruch erschien Werner im Vergleich zu der fauligen Luft, die im Boot herrschte, geradezu erfrischend.
Er nahm seine weiße Mütze ab und stellte fest, dass ganze Büschel seines schönen schwarzen Haars innen am Schweißband klebten. Werner hatte seiner Mutter eine Locke von seinem Haar gegeben, ehe er auf diese Fahrt gegangen war; sie hatte sie in ihr Poesiealbum geklebt … die meisten Männer seiner Mannschaft hatten jetzt kahle Stellen, Hautentzündungen, litten unter Übelkeit und hatten schrecklichen Durchfall.
Sein IO, Gormann, war einer der ersten gewesen. Es war jetzt schon Tage her, dass Werner neben Gormanns Koje gekniet und ihm zugeflüstert hatte. Der IO hatte grau und verschwitzt ausgesehen, und ein schrecklicher Geruch war von ihm ausgegangen. Er sah aus, als hätte man ihn bei lebendigem Leib in irgendeiner ätzenden Flüssigkeit gekocht.
Gormann sprach das aus, was Kapitänleutnant Werner selbst fürchtete. »Das waren die Amerikaner – irgendeine von ihren Geheimwaffen –, eine Art Seuche. Sie müssen ihre eigenen Leute alle dagegen immunisiert haben. Und wir haben uns jetzt angesteckt. Wir alle haben die Luft eingeatmet. Wie viele hat es denn bereits getroffen? Wie vielen von der Mannschaft geht es denn so schlecht wie mir?«
Werner presste seine Lippen zusammen. »Machen Sie sich jetzt keine Sorgen. Sie müssen ruhen.«
»Wie viele!«
»Elf bis jetzt. Und den anderen geht es auch nicht
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