Trinity (German Edition)
ließen die Kadetten die Rolle des Kapitäns oder des leitenden Ingenieurs üben. Die erfahrenen Ausbilder befahlen Blitztauchen, signalisierten Katastropheneinsätze, verursachten Unfälle und erwarteten von den Kadetten, dass sie die nötigen Maßnahmen ergriffen. Werner hatte seine Sache gut gemacht, hatte alles richtig gemacht. Aber ganz gleich, wie perfekt seine Entscheidungen und Maßnahmen auch waren, in seinem Traum sank das U-Boot weiter, und er konnte seine Mannschaft nicht retten …
Dunkles Haar hing an seinem Kamm, als er versuchte, sich einigermaßen in Form zu bringen, ehe er den grünen Vorhang beiseiteschob, der dem Raum des Kapitäns einen Anschein von Abgeschlossenheit verschaffte.
Er erfuhr, dass im Laufe der Nacht zwei weitere Männer gestorben waren.
Das Boot schwankte in der unruhigen See und ließ die Männer stöhnen. Einige übergaben sich in die Bilgen. Werner stand unter dem Periskop, hielt sich fest, versuchte, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dabei konnte er kaum drei Schritte gehen, ohne zu stolpern.
Er musste unwillkürlich lächeln. Wenn U-Bootfahrer in den Hafen einliefen, bereitete ihnen das Gehen immer ziemliche Mühe – nicht nur wegen der Saufgelage, sondern weil sie einfach nicht gewöhnt waren, auf festem Boden zu gehen, Boden, der nicht unter ihren Füßen schwankte. Jetzt schien die ganze Welt zu schwanken.
Am Kartentisch des Navigators versuchte der Kapitän, einen Eintrag ins Logbuch zu machen. Aber er wusste nicht einmal mehr, wie viele seiner Leute der Seuche bereits zum Opfer gefallen waren. Er wollte alles festhalten, jedes Symptom schildern, berichten, wie lange es gedauert hatte, bis sie die Auswirkungen gespürt hatten.
Von den Rohren über ihm tropfte Kondenswasser, klatschte auf den Tisch, machte alles feucht. Er hatte Schwierigkeiten, mit dem Bleistift zu schreiben.
Werner konnte nicht begreifen, wie die Amerikaner eine so schreckliche Waffe entwickelt hatten, und woher sie wussten, dass die Seuche nicht am Ende auf sie zurückschlagen würde.
Das mussten doch die Amerikaner gewesen sein, nicht wahr? Die U-415 hatte ja nichts mitgebracht, nur die drei Raketenversuchswaffen aus Peenemünde. Er erinnerte sich daran, wie er die drei Raketen an der Spitze berührt hatte, wo der Sprengkopf war, und wie warm und fiebrig sich das angefühlt hatte. Aber die Entwickler der Waffe würden doch sicherlich für den Schutz der U-Bootmannschaft gesorgt haben.
Es mussten also die Amerikaner sein.
Seine Hand zitterte, und seine Schrift im Logbuch war unlesbar, und deshalb gab er es schließlich auf, gab sich ganz trübsinnigen Erinnerungen hin. Wie lange war es jetzt her, dass er zum letzten Mal Spaß gehabt hatte, dass er ein sorgloser Mann gewesen war, dem das Leben Freude bereitete?
Er erinnerte sich, wie er nach Brest oder Kiel zurückgekehrt war und sich auf die Frauen gefreut hatte, die sie dort begrüßten – Suzette? Mary-Anne? Nein, Suzanne! Er hatte sie mit einer Verzweiflung geliebt, einem Gefühl des Vergessens, ganz darauf konzentriert, alles andere zu vergessen, nur die nächste Sekunde nicht. Er war bemüht, kein Gefühl von Romantik aufkommen zu lassen, weil er die ganze Zeit, die er über ihr war, die er ihre Haut an der seinen spürte, dem leidenschaftlichen Flüstern lauschte – weil er die ganze Zeit wusste, dass in der letzten Nacht ein anderer Mann in ihr gewesen war und sie sich nicht mehr an seinen Namen erinnern würde, wenn sie morgen irgendeinem anderen dieselben Laute ins Ohr flüsterte.
Jetzt würde er für Suzanne tot sein. Er durfte nie zurückkehren. Ihm blieb nur der Ozean und seine Tiefe, die alles heilte.
Werner wollte in Frieden und Stille sterben. Ein paar weitere Tage waren verstrichen, und er konnte es nicht länger ertragen. Er schaltete die Dieselmotoren selbst ab. Gemeinsam mit den vier noch einsatzfähigen Männern sicherte er die Luken der U-415 und bereitete sie auf Tauchfahrt vor, kippte das Unterseeboot in einem Winkel, der sie bis zum Grund führen würde. Er schaltete die Elektromotoren auf volle Geschwindigkeit, auf neunzehn Knoten.
Das Boot war von der gespenstischen Stille des nahenden Todes erfüllt. Werner wandte sich zu den Männern, die jetzt bei ihm standen. »Meine Herren, Sie sind Ihrer Pflichten entbunden. Sie haben Beispielhaftes geleistet.«
Ein Mann sackte im Schneidersitz auf die Deckplatten, als wäre die Pflicht das Einzige gewesen, das ihn auf den Beinen gehalten hatte. Zwei andere
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