Trinken hilft
mehr. Jetzt war wirklich äußerste Selbstdisziplin angesagt.
Unter Eid nahm ich mir das Versprechen ab, bis zur Abfahrt in zwei Wochen täglich einmal die Innenstadt aufzusuchen, zu shoppen, auch wenn ich nicht verzweifelt war. Rein übungshalber. Denn ein Mann von Welt darf sich nicht nur neu einkleiden lassen, das kann jeder Depp, nein, er muss auch wissen, wie man sich in den modischen Fetzen bewegt, wie man sich gibt, welche Sprüche angesagt sind und was als cool gilt. Das alles wollte einstudiert sein, wenn ich nicht bei den Mädels auf dem Dampfer als Schrat erkannt werden und in meiner Einzelkabine Algen ansetzen mochte. Darüber hinaus verordnete ich mir einen täglichen Kneipenbesuch mit der Auflage zu trinken, was das Zeug hält, also von Tag zu Tag ein gestaffeltes Quantum. Denn das wäre eine schöne Blamage, wenn ich auf dem Schiff mangels Trainings nicht mithalten könnte. Schließlich wusste ich aus meiner Nummer 41, welche Unmengen von Drinks auf diesen Luxuslinern über den Tresen gehen.
Ich gestehe es ganz offen: Diese zwei Wochen Lifestyle-Training vor Ort waren eine harte Schule. Mehr als einmal war ich kurz davor abzubrechen. Aber ich hielt durch. Ich hatte ein Ziel. Ich wollte kein Zombie mehr, ich wollte ein Mensch sein. Ein Zeitgenosse. Und dazugehören.
ALPENRAUSCH
D ie MS Fortuna sollte am Karsamstag um 18 Uhr von Genua aus in See stechen. Ich wusste, wo Genua liegt. Weit weg von meinem Wohnort mitten in Deutschland, jenseits der Alpen. Wie komme ich da hin? Das Problem stellte sich schon einmal einem Größeren als mir, dem guten alten Hannibal. Der hatte seine Elefanten, schwer beladen mit Fässern aus Tarragona, seinen Mundschenk und natürlich alle Zeit der Welt.
Heutzutage kann man es sich leichter machen. Man steigt in die Mittagsmaschine und landet keine zwei Stunden später an der ligurischen Küste. Fliegen kam jedoch für mich nicht infrage. Die Phobiker unter uns wissen, wovon ich spreche. Eine Alternative bietet das Schienennetz. Beim Studium des Fahrplans musste ich überlegen. Mindestens zweimal umsteigen – Zürich, Mailand –, war mir das zuzumuten? Vor zehn Jahren noch hätte ich mich hemmungslos in jedes Interrail-Abenteuer gestürzt. Mit Lena an der Seite, die sich nicht scheute, jeden x-Beliebigen um Auskunft anzusprechen, kinderleicht. Aber diesmal wäre ich kein Rucksacktourist und mutterseelenallein mit meiner geschrumpften Weltgewandtheit. Zwei Koffer vollgestopft mit Trendklamotten und Sprachführern in der Trinkerversion würden dafür sorgen, dass ich mich wie ein schwerfälliger Dinosaurier über Bahnsteige quälen müsste, den Blick panisch auf den großen Uhrzeiger gerichtet mit der Angst im Nacken, nicht mehr rechtzeitig von Gleis 11 auf Gleis 27 zu gelangen. Bei sechs Minuten Umsteigezeit und den Verspätungen, die mittlerweile üblich sind, keine irrationale Angst.
Da Geld kein Hindernis war, hätte ich mich von einem Taxifahrer bequem nach Genua chauffieren lassen können. Ich hätte einen Menschen glücklich gemacht. Für einen solchen Umsatz muss sich so ein armer Gräzist oder Frühmittelalterhistoriker daheim zwei Wochen lang durch den Berufsverkehr quälen und stangenweise Zigaretten rauchen, gegen den Frust und die Langeweile beim Warten auf den nächsten Fahrgast, trinken darf er ja nicht. Ich hätte ihm das Geschäft gegönnt. Aber ich kannte diese Pappenheimer mittlerweile. Sie reden gern. Womöglich über Fußball oder die korrupten Politiker. Das ertrage ich gerade mal auf den zwei Kilometern zwischen dem Beautysalon und meiner Wohnung, aber nicht zehn Stunden lang zwischen Main und Ligurien. Ich liebe Taxifahrer, ehrlich. Es gibt wunderbare Menschen unter ihnen, Gelehrte, Philosophen, aber man kann doch einem Gelehrten nicht den Mund verbieten, oder? Nein, auch das Taxi konnte ich abhaken.
Zum Glück bot das Reiseunternehmen, bei dem ich die Kreuzfahrt gebucht hatte, einen Shuttlebus von verschiedenen deutschen Zusteigestationen zum Zielort an. Eine Busfahrt, warum nicht? Mag dem jettenden Globetrotter vielleicht etwas bieder erscheinen, gleich denkt man an Seniorenausflüge in den Harz inklusive Kaffee & Kuchen und einer Treppenlift-Verkaufsvorführung, aber egal. In Bussen hat man freie Platzwahl, bräuchte bloß zu Beginn der Reise seine Tilsiterstulle mit ordentlich Zwiebeln drauf auspacken, wenn man unter Berührungsängsten leidet. In Windeseile würden sich die Mitpassagiere um einen herum neu formieren, man würde ohne ein
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