Trinken hilft
als ich erkannte, dass mein Junggesellenszenario bei ihr mütterliche Gefühle hervorrief, obwohl sie sicher nicht älter sein mochte als ich, merkte ich zur Abschreckung an, mein pflegebedürftiger Vater wohne bei mir, wir bekämen Essen auf Rädern.
»Und jetzt, wer versorgt ihn jetzt?«, hakte sie nach. Hoffentlich war sie keine Pflegeexpertin, betete ich im Stillen, hoffentlich bohrt sie nach keinen weiteren Details und vor allem: Hoffentlich verschont sie mich ihrerseits mit Geschichten aus dem Pflegealltag! Deshalb versicherte ich hastig, alles sei gut organisiert, der Vater bestens betreut in der Kurzzeitpflege, und ich hätte mich zu einer Kreuzfahrt entschlossen, um mich endlich einmal selbst verwöhnen zu lassen.
»Sie sind ein guter Sohn«, hauchte sie gerührt, »solche Männer trifft man selten.«
Ich bangte schon wieder um meine Freiheit und lenkte auf ihr ursprüngliches Stichwort um. »Warum fragten Sie nach meinem Ofen? Sind Sie Küchenberaterin?«
»Nein, ich arbeite als Sachbearbeiterin bei einer Bausparkasse. Aber ich meinte nicht einen Küchenherd, den hat ja wohl jeder. Ich meine einen richtigen Ofen zum Heizen, mit Holz, wissen Sie, einen Kaminofen. Schaffen Sie sich bloß niemals einen an!«
Hatte ich nie in Betracht gezogen, um ehrlich zu sein. Ebenso wenig wie die Anschaffung eines Dieselgenerators oder einer Geothermikanlage. Ich wohne zur Miete, zentralgeheizt. Hatte ich einen Trend übersehen? Der Bus rollte durch das hügelige Ländle, vorbei an gepflegten Neubauten mit Solarzellen auf den Dächern und Holzstapeln in den Carports. Massenhaft Holzstapel, wohin ich sah! Wie bei meinen Großeltern auf dem Dorf, anno Tobak, wenn wir sie zu Weihnachten besuchten. Meine Eltern schämten sich für ihre Altvorderen und deren stures Beharren auf dem Kachelofen, in anderen Häusern verlegte man bereits Fußbodenheizungen. Jedes Mal gab es Streit deswegen. Und nun? Back to the roots – lautete der Trend ganz offensichtlich. Ohne mich! Wenn das Öl knapp wird, muss man sich halt von innen her wärmen. Wodka wärmt – trinkend durch die Energiekrise , schoss es mir durch den Kopf. Zum Glück fand ich in meinem Jackett einen Zettel und Stift, um mir den Titel zu notieren.
»Ich bin Schriftsteller«, eröffnete ich Christa, die mein Tun neugierig verfolgte. »Sorry, dass ich mir nebenbei Notizen mache. Eine Berufskrankheit. Schriftsteller wittern auf Schritt und Tritt Ideen für ihre Bücher.«
»Schriftsteller – wie interessant!«, flötete sie. »Das muss himmlisch sein. Ich wollte, ich verstünde was vom Schreiben. Was ich erlebt habe, der reinste Krimi, sag ich Ihnen. Aber ich beherrsche nicht einmal die neue Rechtschreibung. Was schreiben Sie denn für Bücher?«
»Sachbücher. Ratgeber. Auch Reiseführer. Was der Mensch halt so braucht …« Mehr wollte ich nicht verraten, inkognito lebt es sich unbefangener.
»Und Belletristik? Haben Sie schon mal an einen Roman gedacht?«, wollte sie wissen.
»Durchaus«, bekannte ich. »Aber ein Roman braucht Zeit. Ich bin eher ungeduldig. Vielleicht komme ich auf der Kreuzfahrt zum Innehalten, zur Muße. Vielleicht bekomme ich angesichts der ozeanischen Leere die Inspiration. Mal sehen.«
»Ozeanische Leere – das kann nur ein Schriftsteller so ausdrücken. Wie ich Sie beneide!«
»Ach, das sollten Sie nicht, der Job wird gern überbewertet«, gab ich zu. »In der Praxis ist es ein Job wie jeder andere. Eine zündende Idee zum Auftakt und dann einfach nur harte Disziplin. Täglich viele Stunden am Computer, genauso wie Sie, aber kein wirklicher Feierabend, kein Wochenende, denn das Gehirn arbeitet weiter. Man kann es nicht ausschalten. Es ruht nicht eher, als bis man seinen letzten Gedanken formuliert und das Thema zu einem Abschluss gebracht hat. Es ist wie eine Sucht. Man wird zu einem Getriebenen.«
Christa nickte nachdenklich. Eine Sucht, so habe sie das nie gesehen, sinnierte sie. Dann trank sie ihren Becher aus und zog entschlossen weitere Piccolos aus ihrem Handgepäck. »Wenn wir schon mal bei den Süchten sind, dürfen wir das Trinken nicht vergessen.« Sie sprach mir aus der Seele, und so ergab es sich, dass wir ohne Wehmut Deutschland hinter uns ließen, beschwingt am Bodensee vorbeizogen und gut geölt das Rheintal hinaufbrummten. Eine Pinkelpause bei den Eidgenossen erlaubte es mir, meine Getränke aus dem Koffer zu holen und mich bei meiner Busgefährtin zu revanchieren.
Mühelos – dank meines Cognacs – erklommen wir den
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