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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
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aber ich habe sofort panisch abgelehnt. Um ehrlich zu sein, diese Viertelstunde Smalltalk jeden Monat, in den sie mich verwickelte, während sie an mir herumschnipselte, war das Äußerste, was ich zu ertragen in der Lage war. Ich glaube, sie nahm mich nicht ganz für voll. Wahrscheinlich hielt sie mich für einen abgeranzten Sonderling, der seine geheimen Triebe im Schattenreich der Internetpornografie auslebte. Ich gab ihr immer ein stattliches Trinkgeld, um sie bei der Stange zu halten. Gut möglich, dass sie es als Schweigegeld betrachtete. Egal, was sie von mir hielt.
    Aber nun würde ich ihren Verschönerungsvorschlag wohl oder übel ernst nehmen müssen, um meinen Marktwert auf der Kreuzfahrt zu sichern. Marktwert – wie alt war ich eigentlich? Ich rechnete nach. Mein Gott, schon in den Vierzigern, ein fremdes Territorium für mich. Irgendwann in den Dreißigern hatte mich der Schreibtisch geschluckt. Arbeitskoma. Den Alterssprung musste ich erst einmal verkraften. Mehr noch. Es würde Jahre dauern, bis ich so alt wäre, wie ich aussah. Das Gesicht, das mir aus dem Spiegel bestürzt entgegenstarrte, war das Gesicht meines Vaters, als er in Rente ging. So gesehen würde eine Haartönung wohl kaum reichen, um mich für die Mädels meiner Generation aufzupeppen. Ich spürte die Midlife-Crisis mit Wucht heranbranden und erinnerte mich an meinen Ratgeber Nummer 82, Altern ohne Angst: Trinken statt Therapie .
    59 Prozent der Deutschen über vierzig trinken täglich Alkohol, las ich nach, bevorzugt Wein und Bier. Bier beruhigt die Nerven, Rotwein stärkt die Adern. Auch ein Obstler nach einer fetten Mahlzeit wirkt Wunder, wenn man keine Zeit für Verdauungsspaziergänge hat. 59 Prozent trinken, das ist die absolute Mehrheit. Kann die sich irren? Nein. Nur der Nüchterne ist allein mit seiner Angst vor dem Alter. Nichts wappnet ihn gegen die Erkenntnis des erbarmungslosen Verfalls, gegen die Panik angesichts von Falten, Haarausfall und Prostatabeschwerden. Wer Sorgen hat, hat auch Likör , hieß es in dem besagten Ratgeber. Keine Frage, wozu mich dieses Zitat vom guten alten Wilhelm Busch ermunterte. Nicht zum Weiterlesen, zum Trinken natürlich.
    Zwei Tage lang trank ich mir mit dem Casteller Bausch Mut an, dann war ich so weit, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um mein Äußeres aufzupolieren. Botox war nicht nötig, denn der Wein hatte mein Gesicht leicht aufquellen lassen und, wie mir schien, die tiefsten Furchen sanft ausgebügelt. Trinken hilft also wirklich, wer sagt’s denn? Was nottat, waren eine kosmetische Korrektur der fahlen, pigmentgefleckten Epidermis, ein Volumen vortäuschendes Haarstyling und eine Imageberatung in einer Herrenboutique, denn die Klamotten, die in meinem Schrank hingen, hatte alle noch Lena ausgesucht. Ich sah mich gezwungen zu einer Runderneuerung und vereinbarte einen Termin im angesagtesten Herren-Beautysalon der Stadt.
    Bereits an der Schwelle dieses Etablissements empfing mich eine neue Welt. Eine chrom- und glasfunkelnde Bühne, deren Hightech-Gerätschaften an einen Luxus-OP erinnerten und dem Kunden, der am Eingang seine lädierte Identität abgab, den Eindruck vermittelten, er befinde sich in der Obhut von Notärzten, die alles Menschenmögliche unternehmen würden, um den Patienten vor dem Kollaps seines Selbstbewusstseins zu retten. Ein sonnengebräuntes Double von George Clooney in weißer Honanseide bettete mich auf eine Designerliege. Dann servierte mir eine mandeläugige Hostess einen frisch gepressten Mango-Cocktail. Der Klimaanlage entströmten die narkotisierenden Aromen von Sandelholz und Neroli, New-Wave-Klänge aus dem Backstage suggerierten mir ein langsames Hinübergleiten in kosmische Sphären.
    Solchermaßen eingehüllt in dieses quasi uterine Ambiente fühlte ich mich bald so entspannt, dass ich mich widerstandslos dem Erste-Hilfe-Team anvertraute, das meine verlorene Jugend reanimierte. Mit geschlossenen Augen träumte ich von bevorstehenden Urlaubsflirts, während behutsame Hände meinen Kopf mit tausenderlei Zaubertricks behandelten. Ich spürte heißen Dampf, warme Öle und frostige Packungen auf meiner Haut, blubbernde Pasten, sprudelndes Wasser und prickelnde Gels. Wie aus weiter Ferne vernahm ich das Schnippeln von Scheren, das Rauschen von Düsen. Ich ahnte das gewaltlose Wirken von Peelings und den beherzten Einsatz von flüssigem Wachs, es wurde gezupft, geschliffen, massiert und balsamiert, es hätte endlos so weitergehen können. Aber ach!

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