Trinken hilft
San Bernardino, oder war’s der Sankt Gotthard? Die Kulissen jedenfalls waren grau und wir blau. Hinter Bellinzona tankten wir noch einmal auf, Grappa war angesagt, um stilvoll auf Bella Italia anzustoßen. Dann rollten wir entspannt wie Säuglinge nach dem Stillen in die lichtdurchflutete Ebene hinunter, vorbei an Dörfern und Städten, mit einem Karacho, dass einem hätte schwindlig werden können. Der Busfahrer hielt offenbar nichts von Tempolimits und Überholverboten. Oder spornte ihn die Musik an, die er immer lauter drehte, vielleicht um nicht einzuschlafen? Italienische Schlager, triefend von amore und passione, genau das, was mich im nüchternen Zustand zum Tier werden lässt. War der Mann lebensmüde?
Dem segensreichen Schutzschild des Grappas war es zu verdanken, dass mich sein Fahrstil sowie das Gedudel aus dem Radio kalt ließen. Nachträglich kann ich nur sagen: Trinken hilft wirklich. Ich lag also richtig mit meiner Philosophie. Anstatt die Notbremse zu ziehen, fläzte ich benommen neben meiner Zechgenossin, die mir, vom Alkohol enthemmt, ihr Geheimnis preisgab. Sie flüchte in die Wärme des Südens, wo man keinen Kaminofen brauche, denn ein Kaminofen habe ihr nichts als Unheil eingebracht.
»Wollen Sie es hören?«, fragte sie. »Vielleicht regt es Sie zu einem Roman an. Einen Titel hätte ich auch schon: Holz vor der Hütte .«
Ich nickte schläfrig. Hauptsache, ich musste sie nicht unterhalten. Dankbar wandte sie sich mir zu und begann zu erzählen.
»Mein Mann hat den Kirschbaum gefällt«, erzählte mir eine Kollegin während der Kaffeepause. »Er stand zu nahe am Haus und nahm dem Kinderzimmer das Licht. Ihr habt doch einen Kaminofen. Wollt ihr das Holz haben?«
Wer wollte das nicht bei dem Ölpreis! Wir hatten uns im Herbst einen schwedischen Kaminofen angeschafft, als zusätzliche Wärmequelle neben der Zentralheizung. Im Keller lagerten zwei Zehnkilopäckle Briketts und auch drei, vier Bündel Anmachholz, aber wie schnell würde das verbraucht sein? Und die hässlichen Kohlebriketts, was waren die schon gegen duftendes und ökologisch völlig unbedenkliches Kirschbaumholz? Ich hätte meine Kollegin umarmen können und fragte sie ungläubig:
»Ihr würdet es uns schenken? Wie kann ich mich revanchieren, wenigstens eine Kleinigkeit für die Kinder …«
Aber sie lehnte jede Gegenleistung ab. »Wir sind froh, wenn der Garten wieder begehbar wird. Wann wollt ihr es abholen?«
»Gleich am kommenden Wochenende. Mein Mann wird sich freuen.«
Am Abend überraschte ich ihn mit dieser Nachricht. Da ich ihn als Naturfreund kenne, der Waldspaziergänge liebt, erwartete ich Begeisterung. Doch er ging das Thema eher verhalten an.
»Hm«, sinnierte er, »im Kofferraum werden wir es kaum heranschaffen können. Das hieße, zwanzigmal zu fahren. Wo wohnt deine Kollegin?«
»Irgendwo hinter Erbshausen, glaube ich.«
»Erbshausen, das sind 25 km einfache Strecke.« Mein Mann wirkte nachdenklich.
»Unser Nachbar hat einen Anhänger. Er leiht ihn uns bestimmt für einen Tag«, schlug ich optimistisch vor.
Aber mein Mann sah nur die Hindernisse. »Um das Auto möchte ich ihn nicht bitten«, brummelte er.
»Welches Auto???«
»Seines. Wegen der Anhängerkupplung. Wir haben doch keine.«
»Dann lass uns eine kaufen«, bestimmte ich selten großzügig. »Jetzt, mit dem Kaminofen, werden wir sowieso öfters Holz holen müssen. Da kann ein eigenes Equipment nicht schaden.«
»Hast recht.« Mein Mann seufzte, aber er nickte bedächtig. »Einen Anhänger kriegt man gebraucht fast nachgeschmissen, und eine Anhängerkupplung wird nicht gerade die Welt kosten«, bekräftigte er unseren Entschluss.
An den nächsten Abenden blieb der Kaminofen kalt. Emsig studierten wir die Anzeigen im Nutzfahrzeugteil der Tageszeitung, führten umständliche Telefonate mit Hausfrauen, die keine Ahnung von Stützlast und Zuladegewicht hatten, und hetzten durch die Gegend, um die Angebote zu besichtigen. Wegen der Montage der Anhängerkupplung mussten wir drei Tage auf unser Auto verzichten, was uns das Leben nicht leichter machte. Ich will nicht jammern. Nach zwei Wochen war der Fall geregelt. Der Anhänger wurde uns zwar nicht nachgeschmissen, und unser Auto war nun dafür gerüstet – beides zusammen kostete so viel wie das Brennholz für drei kalte Winter. Aber so darf man natürlich nicht rechnen. Wir würden künftig die Billigangebote der Forstämter nutzen, die Kronenholz bei Selbstabholung aus dem Wald praktisch
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