Trinken hilft
Plötzlich weckte mich die Stimme des Maestros, meines Wiedergeburtshelfers aus diesem embryonalen Zustand, und sagte: »Fertig. Sie dürfen die Augen wieder öffnen.«
Die Mandeläugige reichte mir einen Cappuccino, und damit war klar: Das irdische Leben hatte mich wieder. Von allen Seiten wurden mir Spiegel entgegengehalten, das Team stand feierlich um mich herum wie nach der Jugendweihe. Nicht, dass mir der Typ im Spiegel bekannt vorgekommen wäre. Ein smarter Mittdreißiger mit windzerzausten, kastanienbraunen Haaren und dem Teint eines Menschen, der sein Segelboot einmal pro Woche flottmacht. Genau die richtige Mischung zwischen sportiv und gepflegt. Um ehrlich zu sein, ich war mehr als überrascht. Ich war überwältigt von meinem eigenen Anblick. Beim Bezahlen an der Rezeption ließ ich mir gleich noch zwei Termine bis zu meiner Abfahrt reservieren, um das Niveau zu halten.
Einziger Unsicherheitsfaktor: Was gibt man diesen Maestros der Verwandlungskunst an Trinkgeld? Zehn Euro wie meiner geschwätzigen Friseuse wären eine Beleidigung. Solche Koryphäen wie dieser George Clooney sind es wahrscheinlich gewohnt, dass man ihnen dezent eine Einladung für einen Ostertörn auf der hauseigenen Jacht zuschiebt, mit dem Hinweis, dass für Begleitung in Form von angeheuerten Models gesorgt sei. Ich besaß keine Jacht und auch nicht die Courage, mich auf Models einzulassen. Zu verwöhnt. Ich könnte dem guten Mann höchstens anbieten, mich auf meiner Kreuzfahrt auf der MS Fortuna zu begleiten, als Visagist oder Leibstylist oder wie nennt man das? Aber so ein Angebot wäre geschmacklos. Eine solche Nullachtfünfzehn-Kreuzfahrt kann sich dieser Beauty-Guru aus der Portokasse leisten, ohne einen wie mich als Gönner ertragen zu müssen. Nein, es half nichts, ich konnte meinen Dank nur mit einem exorbitanten Trinkgeld ausdrücken. Verlegen schob ich einen zusätzlichen Schein über die Theke, murmelte »für das Team« und hastete aus dem Salon, als wäre ich bei einem Griff in die Kasse ertappt worden.
Bevor ich zum nächsten Schritt überging, nämlich mich bei Bogner neu einkleiden zu lassen, genehmigte ich mir erst einmal einen Wodka in der Bar vis-à-vis und sann über die Gepflogenheiten nach, denen man sich als potenter Kunde in den Tempeln der Reichen zu unterwerfen hat. Geld ist ein schnödes Zahlungsmittel, ein Zahlungsmittel für die Massen – aber dort, wo es im Überfluss vorhanden ist, gilt es als Tabubruch, über Geld zu sprechen oder es gar zu verschenken. Dort bedient man sich anderer Werte, um sich zu revanchieren. Man verschenkt Luxus. Etwa eine Eintrittskarte für Bayreuth oder Wimbledon. Beide sind mir aus meinen Trinkerführern bekannt, meine eigenen Füße haben diese heiligen Stätten noch nie betreten. Vielleicht sollte ich wirklich eine Jacht erwerben für dergleichen Zwecke, mit Liegeplatz auf Sardinien? Das gilt als exklusiv. Leisten konnte ich mir solchen Schnickschnack, mein Steuerberater hatte mich oft genug darauf hingewiesen, größere Anschaffungen zu tätigen, um Werbekosten absetzen zu können.
»Noch einen Wodka?«, fragte von jenseits der Theke der Barkeeper. Ich nickte. Ich war mit meinen Überlegungen noch zu keinem Ergebnis gekommen. Trinken hilft in Entscheidungskrisen. Woher ich das wusste? Aus meinem Ratgeber für Unentschlossene. Ein Klarer schafft Klarheit: Trink! Übrigens einer meiner Renner, seitdem der Verlag mit einer oberbayerischen Schnapsbrennerei einen Merchandising-Vertrag ausgehandelt hat, der das Büchlein als Draufgabe beim Kauf eines dreiteiligen Geschenksortiments (Enzian, Hauswurz und Kirschgeist) anbietet. Bei meinem dritten Wodka verwarf ich den Gedanken an eine Jacht auf Sardinien. Zu aufwendig. Selbst wenn es finanziell opportun wäre, ich müsste mich um die Auswahl einer Crew kümmern, müsste Gehaltskonten verwalten, mit Hafenmeistern korrespondieren und, und, und. Ein Rattenschwanz von Entscheidungen käme auf mich zu. Eigentum verpflichtet. Wenn mich der Klare eines lehrte, dann war es diese Erkenntnis. Nein, nicht einmal ein Katamaran auf dem Chiemsee käme infrage, beschloss ich beim vierten Wodka, und nach dem fünften ließ ich mir ein Taxi rufen und war froh, kein eigenes Auto zu besitzen, dessen Zündschloss ich jetzt verfehlen würde. Den Herrenausstatter verschob ich auf den nächsten Tag, Shopping ist was für Verzweifelte, und ich war mitnichten verzweifelt. Ich war high, ich war durchleuchtet von Klarheit, ich brannte vor
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