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Trinken hilft

Trinken hilft

Titel: Trinken hilft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxi Buhl
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jeden vertreibt, der des Bayerischen mächtig ist und ihre Beschimpfungen versteht. Allein die Biergärten mit ihrem süffigen Weißbier bieten Trost und Geborgenheit, aber bloß im Sommer, und der ist kurz.
    Deshalb sträubte ich mich nicht, als nach Abschluss unserer Studien eine Ortsveränderung zur Debatte stand. Wien hätte es aber nach meinem Gefühl nicht gleich sein müssen. Mir fiel dazu nur die Sachertorte ein. Ist das für einen, der es herzhaft liebt, ein ausreichender Grund? Meine Frau überschwemmte mich mit einer Donauwelle Lokalpatriotika wie der Fiaker den Kutschgast in Erwartung eines Trinkgeldes. »Denk an Wiener Schnitzel, Wiener Beuschel, Rostbraten Esterházy und …«
    »… sag bloß nicht Wiener Würstchen«, unterbrach ich sie knurrig, »denn die Wiener sagen dazu Frankfurter Würstel.«
    »Und wennschon! Wien darf man nicht nur durch den Magen sehen. Wien ist materialisierte Musik, Wien ist das alte, wehmütige Herz eines einst glanzvollen Europas und gleichzeitig progressiv wie die Häuser von Hundertwasser, Wien ist die Hauptstadt des Jugendstils und der Psychoanalyse …«
    Ja, einen Therapeuten würde ich bald nötig haben, wenn es so progressiv weiterginge, schoss es mir durch den Kopf, während ich mir anhören musste, warum ein Mensch sich nicht kultiviert nennen dürfe, solange Wien in seiner Vita nicht vorkomme.
    »Aha, Wien ist in . Sag’s doch gleich, bevor du von materialisierter Musik und zu Stein gewordener Poesie schwafelst«, entfuhr es mir verärgert. Zum ersten Mal beschlich mich eine Ahnung. Sollte Babe trendsüchtig sein? Das ist eine ernst zu nehmende Krankheit. Eine Art geistiger Bulimie. Etwas haben wollen, um es dann wieder auszuspucken. Vielleicht sollte ich sie auf die Psychofritzen loslassen? Also doch Freud … Na ja, Tafelspitz und Rostbraten gaben mir den ultimativen Anstoß. Wir übersiedelten nach Wien. Nicht gerade in ein Jugendstilhaus am Naschmarkt, aber auch nicht in eine Wohngarage. So weit war man in Wien noch nicht, der Wiener hat es gern behaglich.
    Babsi, so ließ sie sich von den Wienern nennen, die zwar multikulturell sind, aber sprachlich eigenständiger als die anglophilen Deutschen, Babsi stellte sich schnell auf die Wiener Gemütlichkeit ein. Vergessen waren die Monologe über Wohnfasten und Funktionalismus. Wie eine Schatzsucherin stöberte sie wochenlang durch patinadüstere Trödlerläden, bis unsere Garçonnière all das aufzuweisen hatte, was sie als typisch wienerischen Stilmix bezeichnete: eine ungarische Küchenkredenz und ein Biedermeiersofa, einen Gründerzeitschrank, Bugholzstühle und einen Jugendstilsekretär, dazwischen Art-déco-Lampen und einen steirischen Refektoriumstisch, sehr geschmackvoll, das gebe ich zu, wenn auch nicht billig. Aber wir arbeiteten mittlerweile in festen Anstellungen, da darf man schon was investieren, und die Neuerwerbungen waren solide, alte Handwerksarbeit, die würden unsere Kinder noch überdauern.
    Natürlich dachte noch keiner an Kinder. Erst einmal war die Karriere das Thema, in Wien muss man sich dafür nicht abschinden. Zeigt man sich salopp und charmant, wird einem die Karriere quasi aufgenötigt; mit einem Titel vor dem Namen kommt man gar nicht drum herum. Wenn man dann in seinem Stammbeisel den Tafelspitz unaufgefordert mit einem Extraschlag Apfelkren vorgesetzt bekommt, fühlt man sich endlich daheim. Oder sagen wir, da angekommen, wo man in Ruhe alt werden möchte. Arriviert, könnte man es nennen. Arriviert, das hätte ich nicht laut sagen dürfen.
    »Red doch kan Schmäh!«, mokierte sich Babsi. »Arriviert is aner erst, wanner Ostküstenerfahrung vorweisen kann.«
    Ostküste, wie? Meinte sie den Neusiedler See? Wir hatten manches Wochenende an seinem seichten Gestade geschwelgt, wenn auch meist am Westufer im Ausschankbereich des Ruster Blauburgunders, einem charaktervollen Tropfen, der ausgezeichnet mit Rostbraten Esterházy harmoniert. Sollte uns auf der Ostseite, die mehr auf Reetgewinnung und Mais baut, eine trendverdächtige Reblage entgangen sein?
    »New York, zur Not noch Boston, aber New York macht einfach am meisten her.« Dabei betonte sie New York so, als hätte sie es im Beisein eines Imageberaters schon ein paar Mal im Mund hin und her geschoben. Auf der ersten Silbe. New York. Die beiden Silben rauschten durch mein Hirn wie durch einen schlecht eingestellten Rundfunkempfänger.
    »Was haben wir in New York verloren?«, hauchte ich fassungslos. »Ich dachte, Wien sei das

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