Trinken hilft
sein sollte, fehlte mir hier nichts. »Aber das Flair, das gewisse Etwas!«, belehrte sie mich. Hmm, das gewisse Etwas … ein etwas schwammiger Topos, fand ich, der Mathematiker. Hatten wir nicht einen Türken, einen Italiener und eine Äppelwoistube um die Ecke?
»Ach, Äppelwoi … wen reißt das vom Hocker? München ist in. Alle interessanten Leute gehen nach München«, seufzte sie. Und dann zählte sie mir die Vorzüge auf, die München so begehrenswert machten. Sie redete wie ein Fremdenverkehrsdirektor vor einem Gremium japanischer Investoren. Als nicht einmal ihr Argument Weltstadt mit Herz mein Herz entflammte, rückte sie mit ihrer letzten Karte raus. »Sogar mein Prof geht nach München. Er ist dort an die Uni berufen worden. Allein deswegen sollten wir mitziehen.« Na ja, dachte ich im Stillen, solange er nicht nach Nairobi berufen wird, kann ich dankbar sein, und gab nach.
Im Herbst immatrikulierte ich mich an der Münchner TU, obwohl mein Prof zu meinem Verdruss keinem Ruf nach Süden folgte. Pech. Was die Wohnung betrifft, ich will es nicht leugnen, wir verschlechterten uns. Da half auch unsere Heirat – aus Seriositätsgründen – nichts. Nach demütigenden Vorstellungsgesprächen vor Vermietern, die uns Glaubensbekenntnisse an den FC Bayern München abverlangten, landeten wir in einer ausgebauten Garage neben dem Autobahnkreuz München-Nord. Einrichtungsmäßig keine ungünstige Lage, nur einen Steinwurf von IKEA entfernt, dachte ich. So weit war ich schon. Ich, der Sohn eines Zimmermanns! Aber wie immer hinkte ich der Entwicklung hinterher.
»Gott, du denkst aber wirklich immer nur ans Praktische!«, lästerte Babe, während ihr Blick versonnen durch die nackte Garage schweifte. »Schwedenstil passt nicht in diesen Betonwürfel. Viel zu lieb, zu harmonisierend! So eine Garage ist die Herausforderung für den Einrichter.« Ich nickte. Den Eindruck hatte ich auch.
»Weißt du, das hier ist Realismus pur, so etwas findet man nicht alle Tage.«
Hoffentlich nie wieder, schoss es mir durch den Kopf.
»Man muss das Nüchterne, das Funktionale, ja sagen wir ruhig das Ungemütliche dieses Rahmens unterstreichen, und da gibt es nur eine Antwort darauf: Bauhaus.«
»Unge…mütlich?«, stotterte ich verwirrt. Hatte ich richtig gehört? War man bereits so übersättigt, dass man sich nach Ungemütlichkeit sehnte?
Sie fegte meine Einwände hinweg. »Nun sei mal nicht so altmodisch! Du wirst sehen: Bauhaus macht frei, es kommt einer ästhetischen Entschlackungskur gleich. Diese ganze IKEA-Heimeligkeit lullt einen nur ein. Gaukelt uns eine heile Welt vor. Bauhaus dagegen ist ehrlich. Wohnfasten, verstehst du? Fleischlos wohnen, sozusagen.«
»Aber …!« Ich hatte Mühe mit der Drohung des Fastens. Die Wohnungssuche hatte mich viel Kraft und etliche Pfunde gekostet. Und was die fleischlose Küche betrifft, damit mögen Esoteriker experimentieren oder meinetwegen die Inder mit ihren heiligen Kühen! Aber ich war in den Bratendüften einer kurhessischen Landhausküche aufgewachsen, und der einzige Reiz, den München mir bieten konnte, war die bayerische Schweinshaxe mit Knödel. Ich sollte sie nie kennenlernen. Das hatte Gründe.
Einer davon war unsere Bauhauseinrichtung. Weniger ist mehr, behauptete meine Frau und platzierte einige insektengleiche Stahlrohrsessel um einen gewissermaßen schwebenden Glastisch, der für ein Kundengespräch durchaus brauchbar erschien, nicht aber für eine triefende Schweinshaxe, bei der man die Ellbogen aufstützen muss. Ohnehin hätte man die Schweinshaxe nicht braten können, denn die minimalistische Kochnische beherbergte zwar eine Espressomaschine, eine Saftpresse und einen Cocktailmixer, alles chromblitzend wie in einem OP, aber nach so etwas Profanem wie einer Backröhre suchte ich vergebens.
Mit der Zeit wurde mir klar, dass man natürlich nicht in München lebt, um daheim gemütlich eine Schweinshaxe zu wenden. München leuchtet schließlich, und das muss an seiner Wohnkultur liegen. Die Münchner fliehen aus ihren Lightstylezellen, sie flüchten hinein in samtgepolsterte Opernhäuser, stuckverzierte Theater und schummrige Jazzkeller, und hinterher strömen sie aufgekratzt zu den Chez Babettes und Da Luigis , wo man auch gegen Mitternacht noch was Warmes in den Bauch kriegt. Natürlich nur fein gewiegte Küchenkunst auf Riesenteller drapiert, keine fett glänzende Schweinshaxe, weil es die nur da gibt, wo die Japaner hinpilgern und wo eine grantige Kellnerin
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