Trips & Träume
ab wie eine lästige Fliege. Ich wusste nichts zu sagen. Am liebsten wäre ich im Boden versunken oder hätte mich in Luft aufgelöst.
Paul rettete mich. Ihm war anzusehen, dass er seinem Schlagzeuger an den Kragen wollte. »Mark, du bist ein Stück Scheiße«, polterte er los, »hau endlich ab, du Arschloch, sonst – sonst bringe ich dich um.«
»Ruhig bleiben, Mann«, sagte Skip und stellte sich vor Paul. Sein Gesicht war knallrot angelaufen, die Augen weit aufgerissen.
Gero war vom Sofa aufgestanden und hatte sich neben Paul gestellt. »Du willst ihn umbringen und den Rest deines Lebens im Knast verbringen? Keine gute Idee.«
»Keine gute Idee«, wiederholte Skip.
In Pauls Gesicht stand noch immer die pure Wut. »Zieh Leine und komm nie wieder. Solltest du es doch tun, reiß ich dir das Herz raus, so wie du es bei mir getan hast.«
»Wir kommen auch ohne ihn klar«, sagte Gero.
Skip nickte, Paul zuckte mit den Schultern. Das Trio marschierte ohne Gruß hinaus.
Ich verspürte ebenfalls den Drang zu gehen, es gab nichts mehr zu bereden.
An der Eisentür hielt ich inne. »Was war auf der Mother Universe los?«
»Ich hab das Tonband nicht, wenn du das meinst.«
»Und Andi? Keine Trauer, nicht ein kleines bisschen?«, fragte ich.
Er baute den Schlagzeugsitz auseinander und nahm mich gar nicht mehr wahr. Er war in Gedanken schon weg.
Ich wartete. Zählte bis zehn.
Nach ein paar weiteren schrecklich langen Sekunden drehte ich mich um und ging endlich.
»Was?«, hörte ich Mark rufen.
Die Eisentür schloss sich hinter mir mit einem lauten Klacken.
*
»Ich bin schwanger«, sagte Karen.
»Bist du sicher?«
Zwei Koffer und ein Rucksack. Der Zug hatte fünf Minuten Aufenthalt, so war es über Lautsprecher mitgeteilt worden. Genug Zeit, um das Gepäck zu verstauen. Ich hatte ein leeres Abteil für sie gefunden.
D-Zug nach Kopenhagen. Eine achtstündige Fahrt über Köln, Hamburg und Puttgarden. Sie hatte belegte Brote, zwei Flaschen Mineralwasser, Obst und Schokoriegel in einer Plastiktüte dabei. Und zum Lesen Gedichte von Pablo Neruda.
»Meine Periode ist überfällig, und zwar so was von überfällig.«
Ich war wie vor den Kopf gestoßen. »Sie wollen den Paragraphen 218 ändern«, sagte ich. Etwas Besseres fiel mir nicht ein.
»Ich will das Kind aber.« Sie machte eine Pause. »Es ist sein Kind.«
Ein Freak in unserem Alter, mit halblanger rotblonder Wuschelmähne, Jeansjacke und Woolworth-Hemd, betrat das Abteil. Er hatte eine Art Seesack geschultert, ein Ding aus grobem grauem Leinen, das oben mit einem Lederriemen verzurrt wurde. Zwei blaue Augen strahlten erst Karen, dann mich aus einem hübschen, offenen Gesicht an.
»Ist bei euch noch ein Platz frei?«
Wir ließen ihn sein Gepäck verstauen und verdrückten uns auf den Gang. Von draußen war deutlich die Ansage zu hören.
»Bitte einsteigen, der Zug fährt gleich ab! «
»Los, jetzt musst du aber gehen«, sagte Karen.
»Melde dich, wenn du angekommen bist.«
»Das mache ich«, antwortete sie und zog mich an sich heran. Wir hielten uns einige Sekunden im Arm. Ich schnupperte an ihrem Haar, das nach Moschus und irgendwie nach Meer roch. Ja, dachte ich, sie würde das schaffen, das, was vor ihr lag. Christiania, das Baby und all das.
»Ab jetzt, sonst fang ich an zu heulen«, sagte sie.
*
Don und Giulia kehrten ohne Mark aus Berlin zurück. Sie berichteten, sie hätten eine Bleibe in einer Wohngemeinschaft in Kreuzberg gefunden.
Im Zug, der bei Helmstedt die Grenze passierte, hätten die DDR-Grenzbeamten Fragen gestellt, wegen Marks langen Haaren. Denn im Pass war noch ein zwei Jahre älteres Bild, auf dem seine Mähne sehr viel kürzer war. Es gab Diskussionen, doch Don gelang es, die Beamten zu beruhigen. Mark musste versprechen, ein neues Bild machen zu lassen, sonst sei dies seine letzte Reise durch den Arbeiter-und-Bauern-Staat. Dann erst stellten sie die Transitvisa aus, ohne die man nicht durch die DDR reisen durfte.
Natürlich hatten sie Fürst und Rosie getroffen. Fürst hätte was von einem Trommel-Job für Mark gefaselt. Ein neues Projekt. Rosie hätte ein eigenes Tarot-Karten-Set entwickelt, was Fürst dazu inspirierte, es vertonen zu lassen. Bei diesem Projekt solle Mark mitmachen. Daraufhin hätte sich Mark spontan entschlossen, einfach in der Mauerstadt zu bleiben, in dieser WG in Kreuzberg.
Was Don erzählte, klang nach einem echten Freakparadies. »Die Stadt ist voll von ausgeflippten Leuten. Möbel holen die sich
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