Trips & Träume
nervten mich, ich konnte es nicht mehr hören. Can blieb ich treu, weil ihr Sound sich stetig weiterentwickelte. Ich baute mein Faible für Jazz weiter aus, war bei Dollar Brand (der sich später Abdullah Ibrahim nannte), Pharoah Sanders und Sun Ra angekommen. Nur gab es niemanden, mit dem ich darüber reden, streiten oder diskutieren konnte.
Jemand wie Andi. Er fehlte mir.
Huguette war es, die mich aus der Lethargie riss. Karrieremama, wieder ganz die Alte, keifte eines Morgens, nur weil ich zur Aufnahmeprüfung eingeladen worden wäre, sollte ich nicht meinen, mich auf der faulen Haut ausruhen zu können. Also ging ich zu Schirmer. Ich schrieb Meldungen über Verkehrsunfälle, berichtete über den Bücherflohmarkt in der Kirchengemeinde und über das Schülertheater am Neusprachlichen Gymnasium. Ich wurde fester freier Mitarbeiter und konnte mir so ein bisschen auf die hohe Kante legen.
Im Januar fuhr ich nach München. Drei Wochen später kam das Bestätigungsschreiben. Ich hätte bestanden und könne im April anfangen. Die Koffer waren schon gepackt, da erreichte mich einen Tag vor meiner Abreise ein Lebenszeichen von Karen.
Ein fünf Seiten langer Brief, den ich dreimal las. Sie sei nun im siebten Monat. Den Bewegungen und dem heftigen Strampeln nach zu urteilen, werde es ein Junge.
Sie schrieb, sie fühle sich sehr wohl in Christiania, mit Rike und Miti bewohne sie ein kleines Häuschen direkt am Wasser. Täglich werde eine Vollversammlung abgehalten. Und jeder bringe das in die Gemeinschaft ein, was er am besten könne. Da Christiania viele Unterstützer im Stadtparlament von Kopenhagen und sogar in der regierenden Sozialdemokratischen Partei habe, sei man jetzt als soziales Projekt anerkannt und erhalte staatliche Zuschüsse.
Mittlerweile würden fast zweihundert Menschen dort leben. Und alle packten engagiert mit an. Renovieren, Wände verputzen und Wohnungen herrichten. Er gehe ihr gut, und wenn das Kind da sei, gewähre der dänische Staat ihr sogar Sozialhilfe. Christiania, das Kommune-Paradies, dachte ich, während ich das alles las. Ihre Mutter sei zu Besuch gekommen, hätte sich aber wegen der Freaks, die teilweise aus ganz Europa ins Hippietraumland pilgerten, nicht aufs Gelände getraut. Sie habe sich mit ihr in der Stadt im Hotel getroffen.
Ob ich mich noch an den Typen aus dem Zug erinnere? In den habe sie sich verliebt. Dani hieß er, stamme aus Hamburg und sei gleich mit nach Christiania gekommen. Dort restauriere er Antiquitäten. Bei ihm fühle sie sich geborgen. Sie seien ein Paar. Das Kind wolle er als sein eigenes annehmen. Wann ich sie besuchen käme?, fragte sie. Am Schluss eine Telefonnummer.
Ich schrieb ihr nie zurück, aber einmal rief ich sie tatsächlich an. Das war im Juni, kurz nach ihrer Niederkunft. Meine Mutter drängte mich zu diesem Gespräch, nachdem der Tratsch in unserem Kaff die gute Nachricht von den Dächern gepfiffen hatte.
In München war ich in einer Wohngemeinschaft in der Schyrenstraße untergekommen. Mit Horsi, Mülli und Flugi, alles Jungs, die auch auf der Journalistenschule studierten. Eines Nachmittags, einfach so, ich hatte ein paar Freistunden, setzte ich mich im Flur ans Telefon und wählte die Nummer aus dem Brief. Karen ging sofort dran.
Obwohl ich mich freute, ihre Stimme zu hören, blieb mir das, was sie mir erzählte, auf eigentümliche Weise fremd. Ihre Begeisterung für Christiania war noch größer geworden, seit das Baby da war. Andere hätten auch Kinder, und man wolle einen antiautoritären Hort aufmachen. Ich sagte nicht viel, außer dass ich ihr alles Glück der Welt wünsche, ihr Traum schien ja in Erfüllung zu gehen.
»Es ist ein Junge. Er heißt William. Wie John William Coltrane. Ich glaube, das hätte ihm gefallen«, sagte sie.
Ja, stimmte ich ihr zu, das hätte Andi gefallen. Und legte auf.
achtzehn Don‘t Look Back
Die Kälte hatte sich in meinen Klamotten festgesetzt.
Ich zog meinen Mantel enger. Auch William fror. Er stellte den Kragen seines Jacketts hoch und schloss die Knöpfe.
Wir waren die Allee entlangspaziert, vorbei an zahllosen Gräbern, denen wir keine Aufmerksamkeit schenkten. Während ich erzählt hatte, hatten wir den Friedhof einmal in seiner Gänze umrundet. William unterbrach mich nicht ein einziges Mal, konzentriert lauschte er meinem Bericht. Inzwischen befanden wir uns wieder auf dem Weg in Richtung Kapelle.
Erst da bemerkten wir den Trauerzug.
Der Pfarrer und die Ministranten gingen voraus.
Die
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